Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
Hand an sich zog und zwischen ihre Beine legte oder mit ihrer Hand an der Innenseite seiner Oberschenkel hinauffuhr. Manchmal forderte er sie auf, von sich zu erzählen, sie aber wehrte ab. Du kennst meine Familie. Mehr gibt es nicht zu sagen. Also erzählte wieder er.
Mit fünfzehn hatte Krays für eine marxistische Splittergruppe Mitglieder angeworben und seine Stunden in einem Büro abgesessen, das so vergilbt war wie eine alte Zeitung. Zwei Jahre war er Schatzmeister eines gemeinnützigen Vereins gewesen, der in einem kleinen Ladengeschäft Bananen aus Panama und Bücher über Castro verkaufte, so wenige aber und meist nur an die ehrenamtlichen Mitarbeiter selbst, dass allein die Miete Monat um Monat die roten Zahlen des Vereins in die Höhe trieb. Auf einer Sitzung im Dezember 97 hatte man eine Stunde lang die Farbe der Servietten für die Weihnachtsfeier ausgehandelt, ein politisches Fiasko, rot war missverständlich, grün heikel, blau und gelb ausgeschlossen, schwarz nicht nur in politischer Hinsicht hässlich, weiß wirkte rassistisch, und wenn du jetzt braun vorschlägst, rief Krays’ Nachbar, dann nenne ich dich Adolf. Man könne ja ganz auf die Servietten verzichten, erwiderte Krays, und im Übrigen wolle er von seinem Amt als Schatzmeister zurücktreten. Er erhob sich, verließ die Versammlung, um nie wieder in die Nähe des Ladens zurückzukehren.
Er begann, all jene Bücher zu studieren, die er bislang verabscheut hatte, Texte von Eucken, Smith und Hayek, und Konstantin Krays verwandelte sich binnen weniger Monate zu dem, was er ein halbes Jahr zuvor noch als sein Feindbild bezeichnet hätte.
Dass er alles verrate, an was er je geglaubt habe, warf ihm seine damalige Freundin vor.
Ob es nicht ein größerer Verrat sei, an etwas festzuhalten, obwohl man sähe, dass es nicht funktioniere, entgegnete er ihr.
Ihn selbst irritierte seine Veränderung kaum. Wenn er in den Spiegel sah, gefiel er sich im gebügelten Oberhemd und noch besser im Anzug. Er begeisterte sich für Schnelligkeit, für Entschiedenheit und für die Möglichkeit, dass etwas wachsen konnte, anstatt sich in Schulden aufzulösen.
Zielstrebig begann Konstantin Krays seine Karriere. Er schloss sein Studium noch vor der Regelstudienzeit ab, fing sofort in einem großen Konzern an, ließ sich nach anderthalb Jahren von einem kleineren Unternehmen abwerben, das ihm mehr Gestaltungsspielraum versprach. Seine Freundin und er trennten sich ohne große Worte, er genoss die Stille, wenn er abends allein in seinem Bett lag, eine Stille, die manchmal in ein tosendes Gefühl von Verlassenheit kippte, dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und arbeitete die ganze Nacht durch, bis er vor Erschöpfung nichts mehr sah. Mit achtundzwanzig wechselte er zu Tietjen und Söhne, wurde die rechte Hand des Firmenvizes, und dann, mit neunundzwanzig, stagnierte alles. Er saß auf dem Posten unter Werner Kettler und kam nicht voran, und zurück kam er auch nicht mehr.
Luise hätte es nicht für möglich gehalten, weder in den beiden Wochen von Kurts Abwesenheit noch in all den Jahren davor, in denen Kurt zwar nicht verschwunden, aber ebenso wenig anwesend zu sein schien, und eigentlich konnte sie es sich nicht einmal in jenen Tagen vorstellen, da er zurückgekehrt war und seltsam nahbar, zugleich verstört, durch die Etagen der Firma trieb. Sie hätte es sich nicht vorstellen können, dass Kurt ihre Nähe suchen würde.
Die Tage, an denen er sie, ohne dass es einen ersichtlichen Grund gab, zu sich ins Büro rufen ließ, erinnerten Luise im Nachhinein an eine Blase, eine von der Außenwelt isolierte Zeit. Sie hatte noch Kurts Stimme im Ohr: Ich höre, du hast dich prächtig mit unserem Krays verstanden. Luise überging diese Bemerkung, sagte etwas über China, über ihre früheren Familienurlaube in New York, die in Wahrheit nur zeitgleiche Aufenthalte gewesen waren.
Ich dachte immer, sagte Kurt, dass du promovieren willst. Dass du dich an der Universität siehst. Und jetzt bandelst du mit unserem jüngsten Abteilungsleiter an? Verbringst du wegen ihm neuerdings so viel Zeit in der Firma? Lass die Finger davon, das ist nichts für dich. Er blickte zum Fenster, vor dem grau und sauber die Ruhrstadt lag.
Du meinst, Krays interessiert sich für dich?, fragte er. Lass dich nicht auf den Arm nehmen, Luise! Der interessiert sich nur dafür, wie man Karriere macht.
Kurts Hand fuhr über die Kante seines Schreibtischs, als wolle er den Satz unterstreichen,
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