Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
befreien, und wenn nicht die Welt, dann zumindest ihr Bild von der Welt. Am Ende setzen sie trotzdem jede Spende kleinlich von der Steuer ab. Wir verstecken unsere eigennützigen Motive; wenn sie ein für alle Mal beseitigt wären, bliebe vom Menschen wenig übrig. Es ist doch nicht die Güte, die uns antreibt. Was zählt es denn, fragte Kurt und seine Augen suchten erneut die Fensteraussicht ab, moralisch gut zu sein? Raffinesse, das ist es, worauf es ankommt. Wir können das bedauern, aber wir können uns nicht dagegenstemmen. Wer unsauber arbeitet und erwischt wird, fliegt. Wir müssen realistisch bleiben: Ein Mensch ist erst dann kriminell, wenn er einer kriminellen Handlung öffentlich überführt wird. Nicht, wenn er sie begeht. Wir leben ja nicht im Märchenland. Das, was uns unterstellt wird, ist Gier, und die Frage ist doch, sagte Kurt, ob wir nur deshalb so gierig sind, weil wir ständig gezwungen werden, mildtätig zu erscheinen.
Klar und eindeutig war das Bild, das sie für den Journalisten zurechtgerückt hatten, der kurz darauf zu einem Gespräch mit Luises Vater eintraf. Der blau beschichtete Konferenztisch breitete sich unter Kurts ruhenden Händen aus wie ein mildes Meer, nur ein Glas stilles Wasser stand darauf. Im Hause Tietjen war und würde nichts geschehen. Und wenn im Hause Tietjen doch etwas geschehen war, so musste Kurt, der dort so nüchtern und rechtschaffen saß, davon ausgenommen sein. Er stellte an diesem Tag Einsicht und Vernunft dar. Die Ethik eines Unternehmens besteht ja nicht allein darin, den Profit zu steigern, sondern auch, das Profil zu schärfen, hatte Kurt Luise auf dem Weg zum Konferenzraum erklärt.
Luise setzte sich nicht mit an den Tisch, sondern schräg hinter Kurt, vor die Fensterfront, durch die an diesem Vormittag grelles Sommerlicht fiel. Kurt hatte sie gebeten, ihn zu begleiten, er könne diese Presseleute nicht mehr allein ertragen.
Während des Gespräches blickte Kurt sich mehrmals zu ihr um, als fürchte er, in all seiner Rechtschaffenheit alleingelassen zu werden. Das Interview erschien zwei Tage später unter dem Titel Ein weltweites Verantwortungsgefühl in der Wochenendausgabe der Rheinischen Post, daneben ein Foto Kurt Tietjens, der konzentriert auf das Glas Wasser vor sich sah. Es war nicht Kurts Wortlaut, den man zum Druck freigab, es war Kurts Wortlaut in den Ohren des Journalisten unter der Federführung von Luises Onkel, der alles gegengelesen hatte.
Ein weltweites Verantwortungsgefühl.
Kurt Tietjen, Geschäftsführer der Firma Tietjen und Söhne GmbH, im Gespräch mit Klemens Maibach über Korruptionsvorwürfe, China und die Rolle deutscher Unternehmen in einer globalisierten Welt.
Rheinische Post: Herr Tietjen, gehören Schmiergelder zur Geschäftspraktik Ihres Hauses?
Tietjen: Natürlich nicht. Wir bedauern diesen Vorfall außerordentlich und haben bereits personelle Konsequenzen gezogen.
RP: Personelle Konsequenzen? Wären da nicht an erster Stelle auch Sie gefragt? Sie als Geschäftsführer müssen von der Vorgehensweise Kenntnis gehabt haben.
Tietjen: Nein, ich bedauere. Ich habe davon nichts gewusst.
RP: Hätten Sie nicht davon wissen müssen?
Tietjen: Mehr zu wissen, als man weiß, ist ein frommer Wunsch. Doch ich kann Ihnen versichern, dass ich sehr bestürzt war, als ich von den Geschehnissen erfuhr, und dass ich sofort reagiert habe.
RP: Ihr Unternehmen hat nicht die Größe eines Siemens- oder Telekom-Konzerns. Umso schwerer ist es vorstellbar, dass keinerlei Information über Ihren Schreibtisch gewandert ist.
Tietjen: Auch wenn unser Unternehmen kein milliardenschwerer Weltkonzern ist, so haben wir doch unterschiedliche Abteilungen für die Aufgaben in unserem Haus. Es gibt die Werbeabteilung, die Personalabteilung und die kaufmännische Abteilung, um nur einige zu nennen. Ich bin nicht Gott, ich kann nicht überall gleichzeitig sein.
RP: Ihre Firma hatte in den letzten Jahren sehr zu kämpfen, vor allem die Konkurrenz der Discountlabels bedrohte sie. Sind die Deutschen noch bereit, Geld für ein Handtuch auszugeben? Wie steht die Firma Tietjen heute da?
Tietjen: Unserer Firma geht es gut. Wir haben uns aus einer temporären Krise mit neuen, innovativen Geschäftsideen herausarbeiten können. Ideen, die gerade die Forderungen einer globalisierten Welt mitdenken, in der Ressourcenknappheit und menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in Teilen der Welt auch auf dem Textilmarkt zu Bedrohungen für eine faire
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