Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
sie fing kurz seinen Blick, ehe er ihr wieder entwich, nein, sie würde sich nicht auf den Arm nehmen lassen, nicht von Krays, nicht einmal von Werner, dachte sie.
Die Zeitungen haben also wieder zugeschlagen, sagte ihr Vater. Eigentlich hätte Werner es mir in Schanghai mitteilen müssen. Aber ich bin dir dankbar, dass wenigstens du mich informiert hast. Wer hat es dir gesagt? Dein Onkel?
Krays. Aber kommt es denn darauf –
Sei’s drum, unterbrach ihr Vater sie. Ich werde mich wohl dazu äußern müssen.
Luise schüttelte den Kopf. Krays meint, es ist vorbei. Sie haben genug geschrieben, sie interessieren sich nicht mehr dafür.
Krays?, fragte ihr Vater spöttisch. Hast du auch eine eigene Meinung, oder hast du das Denken vollständig an ihn delegiert? Wenn es nach mir ginge, würden wir so jemanden gar nicht erst in der Firma behalten.
Du weißt, dass er gut ist. Dass du ihn nicht feuern kannst.
Er ist nicht gut. Er ist nur der Beste, den wir derzeit haben. Das sagt mehr über die Firma aus als über ihn. Kurt lachte, es klang beinahe herzlich, Luise kannte von ihm nur das trockene Lächeln, das wie alter Lack auf seinem Gesicht lag. Sie haben recht, die Zeitungen, sagte er. Wir stehen am Abgrund. Er wandte sich dem Fenster zu, die Zechen in der Ferne, davor die Kirchen, das RWE-Hochhaus und die Weststadttürme. Eine Universität aus Asbest, schmierigen Toiletten und minderem Ruf, wo einst leuchtende Hochöfen gestanden hatten und Asche vom Himmel geregnet war. Dem Pompeji der Nachkriegszeit, in dem Kurt aufgewachsen war, hatte man noch vor Luises Geburt einen Katalysator vorgespannt aus absterbender Industrie und verödendem Bergbau.
Die Leute wollen negative Schlagzeilen zum Frühstück, sagte Kurt. Ohne die werden sie nicht wach, und ich soll jetzt dafür herhalten. Aber ich habe keine Lust, den Sündenbock zu spielen. Warum nehmen sie nicht Schermerhorn, warum nicht die Bielefelder Frottee AG? Ich sehe es nicht ein, meinen Kopf für die Firma hinzuhalten, die man mir sowieso wegnehmen wird, sobald mein Kopf gerollt ist. Dein verehrter Onkel wartet doch nur darauf, dass ich das Feld räume. Kollege Serner genauso. Und Bentsch. Und Rehlein. Wahrscheinlich wartest sogar du.
Ehe sie sich durchgerungen hatte, zu fragen, was er damit sagen wolle, wurde die Tür geöffnet und Kurts Sekretärin brachte ihnen Kaffee. Ihre staubgrauen Locken wippten, als sie das Tablett abstellte. Kurt blickte auf einen Punkt in der Ferne.
Jetzt wartet ihr darauf, dass ich auseinanderfalle wie ein Bündel Unterlagen, sagte Kurt, als sie wieder unter sich waren. Wenn ich Glück habe, stopft ein aufmerksamer Angestellter mich in den Schredder. Ich fühle mich seit langem zu müde, um irgendetwas zu sagen. Jeden Morgen, wenn ich zur Arbeit fahre, sehe ich die Firma auf mich zuwachsen, das gleiche Gebäude seit dreißig Jahren, ich rieche seit dreißig Jahren den Geruch von Kopierfarbe, die Dämpfe aus der Kantine, schon der Dunst von Soße und Salzkartoffeln nimmt mir den Atem, ach, was sage ich, jegliche Lebensfreude wird mir darin erstickt. Und drehe ich mich um, steht da ein aufgeregter Angestellter und will mit mir reden. Der aufmerksame, der verständige Firmenleiter. Immer nett zu den Angestellten. Verständnisvoll. Als würde mich ihr Schicksal interessieren. Als könnten mich die Leben von zweihundertachtundvierzig Menschen etwas angehen. Ich kann mir nicht mal ihre Namen merken.
Kurt lehnte sich in dem gewaltigen Chefsessel zurück, dessen gierige Lederlippen ihn verschlucken wollten, eine fleischfressende Pflanze, die eine Fliege wittert. Luise wiederholte innerlich, während sie ihn ansah: Mein Vater, mein Vater, mein Vater, als gehörten sie zusammen, doch das taten sie nicht, hatten es nie getan.
Wenn ich rausgehe, sagte Kurt, umtanzen mich all diese Witzfiguren, die sich so wichtig nehmen, Politiker, Gewerkschaftshampel, Mitglieder des Managerkreises. Ich kann in kein Restaurant der Stadt gehen, ohne dass irgendein Gast mich erkennt und gestelzt wie ein Flamingo auf mich zukommt.
Er sah Luise an, und diesmal war sie es, die ihren Blick abwandte, über die Fotos gleiten ließ, die Kurts Büro dekorierten: Helmut Schmidt, JFK, Gustav Heinemann, Männer, die alles im Griff hatten, außer Kuba und die RAF.
So sind sie, sagte Kurt. So wie dein Onkel. So wie dieser Krays, den Werner meint, protegieren zu müssen. Glücksbringer, oh ja, das wollen sie sein. Sie wollen die Welt von Krankheit, Armut und Arbeitslosigkeit
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