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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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er geisterhaft bei ihnen, früher, als Kurt noch manchmal im Club gesessen hatte, früher also, bevor er sein Leben geteilt hatte in einen Teil vor und in einen Teil hinter dem Gowanus Expressway.
    Für das Treffen mit dem Makler kaufte Kurt sich einen Anzug in einem Discountladen, eine knittrige Kombination aus stinkenden Fasern. In seiner eigenen Kleidung wäre er sofort aufgefallen, dachte er, doch er fiel auch jetzt auf.
    Hierhin verschlägt es niemanden, der nicht muss, erklärte der Makler und musterte Kurts Anzug.
    Auf der klebrigen Resopalplatte des Küchentresens füllte Kurt einen Bewerbungsbogen aus und reichte ihn zusammen mit einem Geldschein dem Makler zurück.
    Wissen Sie, ich muss eben, antwortete er.
    Der Mann betrachtete den Geldschein. Sein Blick war müde, nicht, weil ihn die Wohnungen neben dem tosenden Expressway erschöpften, sondern weil er immer schon erschöpft gewesen war.
    Wenn Sie müssen, dann müssen Sie wohl. Er zog die Unterlagen aus Kurts Hand, den Geldschein rührte er nicht an.
    Die Wohnung wurde möbliert vermietet. Die Lampe war das Standardmodell eines bekannten Einrichtungshauses, der Schirm war abgebrochen und hing auf halber Höhe zwischen Glühbirne und Boden. Dem Wandschrank fehlte eine Tür, und die Matratze war so weich, dass Kurt beinah darin versank. Das Mobiliar umfasste ferner einen schmalen Schreibtisch, einen Couchtisch, jedoch keine Couch, einen Fernseher und einen Badezimmerschrank aus Plastik, in dem noch die Zahnbürste seines Vorgängers lag.
    Dass es keinen Teppich gab, war in einer Wohnung wie dieser ein Glücksfall, für Keime und Ungeziefer blieb dennoch genügend Nährboden. Unter der Spüle fand Kurt eine von Bierresten verklebte Kronkorkensammlung. Altes Fett hatte nicht nur die Kacheln hinter dem Herd bräunlich beschlagen, sondern auch die Dunstabzugshaube und die Unterseite der Schränke, den Kühlschrank, den Boden, fast die gesamte Küche war in einen feinen Schmutzfilm gehüllt, der trostlos war wie alles, was man von Anfang an zu übersehen versucht. In der Nachbarwohnung lief der Fernseher, irgendwo bellte ein Hund, und ein Telefon klingelte.
    Auf einem Zettel, der später verlorenging und noch später in einer Schreibtischschublade wiederauftauchte, notierte Kurt Tietjen über seine ersten Tage in Redhook:
    Living alone, with a TV set.
     
    Er begegnete ihr im Treppenhaus – sie erkannte ihn nicht wieder, ging eilig an ihm vorbei, ein kurzes Drehen des Kopfes, das grelle Licht, das Ticken des Zählers, klackklackklack, dann war die Treppenhausbeleuchtung erloschen. Kurt grüßte sie, sie grüßte vage zurück, eilte weiter. Er wagte kein weiteres Wort, als könne durch eine falsche Bewegung die Nähe zwischen ihnen zerbrechen, eine Nähe, die in Wahrheit nicht bestehen konnte zwischen einem, der nichts sagte, und einer, die keine Zeit hatte, sich noch einmal umzudrehen.
    Fanny war wieder vollständig in New York angekommen und vom Alltag verschluckt. Ihr Gesicht war leer, eingerastet in die Konstanten, die sie gewohnt war, sie war nicht aufmerksam genug, um ihn zu erkennen. Oder war es seine Schuld? Er hatte sich verändert, zunächst nur die Kleidung, aber mit der Kleidung auch die Frisur. Er hatte sich seit Tagen nicht rasiert. Seine Gesten gerieten aus der Form und mit den Gesten sein Gang. Binnen weniger Tage hatte sich seine Erscheinung vollkommen gewandelt, er fügte sich perfekt in die Gegend ein, die er nun bewohnte.
    Sie hatte damals einen gepflegten Mann kennengelernt, der ihre Tasche getragen hatte. Kurt beneidete diesen Mann, der er einmal gewesen war, um das Treffen mit einer Frau, die aus wenig mehr als gebleichten Haaren und abgenutzter Kleidung bestand und sich weder um Etikette noch um den perfekten Auftritt scherte. Gerade deshalb beneidete er ihn um sie. Gerade deshalb war sie die Person, mit der er gegen seinen Vater ankam, gegen die Firma, gegen seine alte kümmerliche Existenz.
    Er hörte, wenn Fanny im Bad Wasser laufen ließ, hörte, wenn sie sich in das knarrende Bett legte, er konnte einen ungefähren Plan ihrer Wege erstellen. Sie war sein letzter Bezugspunkt, ein verschwommener Tintenfleck in der Agenda, er richtete seinen Tagesablauf nach ihr aus. Fünf Wochen lang beobachtete er sie und notierte ihre Gewohnheiten. Er sah sie jeden Morgen das Haus verlassen, kurz vor neun, außer sonntags. Er wusste nicht, wohin sie ging, er wusste nicht, warum sie zu unterschiedlichen Zeiten zurückkehrte, mal um halb sechs, mal

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