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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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immer noch. Sie war wie ein ausgelagerter Teil von ihm, eine Dependance. Es kam ihm paradox vor. Er konnte mit ihr zusammen sein, ohne dass er sich bedrängt fühlte.
    Im Januar 1982 hatten sie geheiratet, zwei Jahre später war Luise auf die Welt gekommen. Im Herbst 1990 unternahmen Carola und Kurt ihre erste gemeinsame New-York-Reise, wenige Monate später war Kurts Vater gestorben, für Kurt hingen die beiden Ereignisse seither zusammen. Es war sein Jahresurlaub gewesen, es hätte genau genommen sein Jahresurlaub werden sollen, in dem er sich von der Firma erholen wollte, aber in letzter Minute entschied sich der Senior mitzureisen. Das Wetter war mild, aber regnerisch, die Stadt klebte an ihnen wie eine nasse Zeitung, und von Ecke zu Ecke wechselte das Jahrzehnt. Autos aus den Fünfzigern parkten am Straßenrand, Geschäftsreisende aus den Neunzigern tasteten die Stadt nach Investitionsmöglichkeiten ab, die Werbung der Zukunft lief am Times Square, im Hotelfoyer zeigte ein Fernseher den Präsidenten, der wie ein Western-Held aus dem 19. Jahrhundert aussah.
    Der Senior war mitgekommen, weil er eine dringende Angelegenheit in New York klären musste. Von Essen aus waren erste Gespräche mit dem Kaufhaus Macy’s geführt worden und äußerst vielversprechend verlaufen, alles deutete darauf hin, dass der Tietjenfrottee bald in den Regalen des New Yorker Geschäfts liegen würde. Kurt hatte angeboten, sich darum zu kümmern. Du weißt nicht, wie unsere Geschäfte in New York stehen, hatte der Senior geantwortet. Niemand wisse, wie die Geschäfte in New York stünden, hatte der Junge trotzig erwidert, womit er recht gehabt hatte, doch das gab der Senior nicht zu. Seit dem Prozess folgte er Kurt wie ein lästiger Köter. Der Senior misstraute seinem Sohn, dennoch handelte der Alte nicht so, wie es die meisten, allen voran Werner, erwartet hatten.
    Was zählen meine Animositäten verglichen mit einer Familientradition?, fragte der Senior. Sie zählen nichts, und ich werde Kurt nicht aus der Geschäftsführung entlassen. Im Übrigen, wenn er meint, uns verklagen zu müssen, soll sein Kopf auch in der Schlinge hängen.
    Das war sein letztes Wort. Er behielt seinen Sohn in der Geschäftsführung, überwachte allerdings jeden seiner Schritte. Und Kurt blieb, weil er schon den Prozess nicht durchgestanden hatte und sich seither weniger denn je zutraute, irgendetwas außerhalb dieser Familie zu sein.
     
    Dass sie nach Miami hätten reisen können, befand Carola, nach Rio oder warum nicht an die Côte d’Azur, für Hochhauswüsten hätte sie noch nie etwas übriggehabt. Kaum dass sie in New York angekommen waren, ließ Carola ihrer Abneigung freien Lauf. Ihr missfiel das Essen, das ihr zu fettig war, ihr missfiel der Lärm, von dem sie nachts wach lag, ihr missfiel das gummiweiche Englisch. In den kommenden Jahren sollte sie ihre Meinung über New York ändern, aber im Herbst 1990 pflegte Carola ihre Abneigung noch mit Bedacht. Sie wollte nicht auf die Straße, sie wollte nicht in den Regen, und der junge Tietjen glaubte insgeheim, dass sie nicht die Reise, sondern die gesamte Ehe rückgängig zu machen wünschte.
    Lediglich im Hotel hatte Carola keine Angst, ausgeraubt, betrogen, bedroht zu werden. Die Stoffe hingen fest und verlässlich von den Handtuchhaltern, Betthimmeln, Gardinenstangen herunter, und schob Carola die Vorhänge beiseite, konnte sie auf den Hudson blicken, der in sicherer Entfernung floss. Die Angestellten waren zuvorkommend und dubios wie Diener aus alten Monarchien.
    Sie telefonierten mit W.W., der die Firma in Essen gegen Schermerhorns Unternehmen aufrüstete, Tietjens größten Konkurrenten. Dass W.W. fünf Jahre später selbst zu Schermerhorn überwechseln sollte, war damals schon absehbar gewesen, W.W. war zu klug, um Rücksicht zu nehmen. Die Bielefelder Firma war ihnen seit langem in der Preispolitik überlegen, so kostengünstig, wie Schermerhorn seine Produkte auf dem Markt anbot, konnte man in Essen nicht produzieren. Allein die bessere Qualität der Tietjenprodukte bewahrte die Firma vor einer vollständigen Niederlage, und während der Senior in den Staaten nach Innovationen im Bereich des Luxusfrottees suchte, lotete W.W. daheim die Möglichkeiten aus, das Tietjen’sche Spielfeld zu erweitern.
    Konkurrenz ist eine launische Sache, sagte der Senior zu seinem Sohn, während sich seine Schwiegertochter im Nebenzimmer inmitten ihrer vielen Kleider verlor. Man muss wissen, gegen wen man

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