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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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erst um neun. Nie brachte sie jemanden mit. Nur einmal hörte er ihre Klingel, und es war, wie er an dem Gespräch im Treppenhaus heraushörte, nur der Briefträger. Wenn er sie morgens durch sein Fenster das Haus verlassen sah, trug sie schlichte Kleidung, Jeans, Pullover, und war in Eile.
    Er wagte nicht, bei ihr zu klingeln, und bemühte sich, seine Gedanken von ihr abzulenken, aber es gelang ihm nicht. Fanny Weidmann. Wie früher die Firma, war es nun Fanny, die sein Leben diktierte. Er hatte geahnt, dass es so kommen würde. Im Bus auf dem Weg in die Stadt hatte er sie nur kurz aus den Augen gelassen, hatte sich umgesehen und gedacht, es sei nicht diese eine bestimmte Frau, die ihn in ihren Bann zog. Da saß eine Rothaarige, die in einer Modezeitschrift blätterte, eine blonde Studentin im Polojäckchen, das sie secondhand gekauft haben musste, da es älter aussah als das Mädchen selbst. Es hätte auch eine von den beiden sein können. Sie übten einen Reiz auf ihn aus, weil sie losgelöst waren von allem, was er kannte. Ihre Namen waren nichts. Sie existierten nur für sich selbst, für ihr kleines Umfeld, für einen Mann, ein paar Freunde, einen Hund daheim.
    Kurt Tietjen wollte sich bewegen, so wie diese Frauen sich bewegen konnten, die nicht einmal um ihre Freiheit wussten. Er hatte sich wieder von ihnen abgewandt und zu Fanny gesehen. Nein, es hätte doch keine andere sein können, gestand er sich ein.
    Fanny brauchte er, wie er glaubte, um der Firma zu entkommen. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass er vielleicht nur die junge Frau aus dem Hotelzimmer vermisste, die fröhlich zu überspielen versuchte, dass sie trotz all seiner Bemühungen nicht miteinander geschlafen hatten. Er dachte nicht darüber nach, ob es diese Nachsichtigkeit war, die er sich wünschte. Es musste etwas mit der Firma zu tun haben, daran bestand kein Zweifel für Kurt Tietjen.
     
    Früher hatte er angenommen, es würde ihm gefallen, wenn um ihn herum Leben wäre. Er hatte geglaubt, es würde ihm guttun, zu heiraten, sich ins Arbeitszimmer zurückziehen zu können, während die Wohnung belebt blieb von den Schritten seiner Frau, ihrer Stimme, ihren Gesprächen, die so anders waren als seine eigenen und nicht ständig um die Firma kreisten. Er brauchte einen Mittelpunkt, hatte Kurt gedacht. Wenigstens um davor wegzulaufen.
    Bevor er mit Carola zusammengekommen war, hatte Kurt Tietjen Affären gehabt. Weil es sich so gehörte. Weil er keine Witze von Freunden über seine Enthaltsamkeit hören wollte. Er vermied es, den Frauen tags zu begegnen, und wenn er an sie dachte, kamen sie ihm stumpf und nutzlos vor. Sie begehrten ihn nicht. Sie wollten ihn haben. Und natürlich begehrte auch er sie nicht, denn um begehren zu können, hätte er bedürftig sein müssen, und das erlaubte sich ein Tietjen nicht. Kurt hatte zu der Zeit seinen Körper weniger bewohnt als provisorisch belebt gehalten, er hielt ihn wach, weil er präsent sein musste. Das zumindest wird man von dir verlangen dürfen, hatte sein Vater gesagt.
    Carola Levmann war in der schrägen Hanglage des Hamburger Treppenviertels aufgewachsen, unten Fluss, Strand, Hunde, oben Ballettunterricht, Barbour-Jacken, Café Sand und noch mehr Hunde. Die Touristen kamen sonntags. Carolas Vater arbeitete in einer Privatbank, ihre Mutter beherrschte die Namen der hanseatischen Gesellschaft fließend. Mit zehn machte Carola wie alle ihre Klassenkameraden den Segelschein, seit sie zwölf war, spielte sie Verlobung, und seitdem sie Verlobung spielte, blieb ihre kindliche Figur konstant. Sie war ein feenhaftes Wesen, das allein an ein paar zynischen Gedanken hängenblieb.
    Kurt und Carola waren einander vorgestellt worden, als gelte es, ein Geschäft abzuschließen. Gemeinsame Bekannte hatten vorab die Vorzüge des jeweils anderen hervorgehoben, dann waren sie an einem Abend, an dem schon mehrere Flaschen Chablis getrunken worden waren, zueinander gestellt worden, sie waren beieinander stehen geblieben, den ganzen Abend lang, so einfach war es gewesen. Beide hatten gewusst, dass ihr Gegenüber eine gute, dass es die richtige Partie war. Sie mussten nicht nachdenken, sie mussten sich nicht einmal verlieben (vielleicht aber taten sie es dennoch). Es war offensichtlich, dass dies das Gegebene war.
    Kurt hatte nicht geglaubt, dass ein Mensch ihm verständlich werden konnte. Carola verstand er an jenem Abend nach zwei Flaschen Wein, und was noch erstaunlicher war: als er nüchtern wurde, verstand er sie

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