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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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wurde und in den Armen seiner Mutter wieder zu sich kam. Dann erschien das nächste, wurde hochgehoben, kam an, dann das nächste, es dauerte eine Ewigkeit, und die ganze Zeit über lag der Geruch des fauligen Obstes in Kurts Nase.
     
    Seine Tochter also. Sie sah erwachsen aus in ihrem dunkelblauen Kostüm, schlicht, europäisch, ein strenges Gesicht, als käme sie direkt aus einem Meeting im Financial District. Und nun war sie zu früh, lief vor dem Schaufenster auf und ab. Ihre Bewegungen waren hart. Seit wann sah sie so aus? Er konnte sich nicht erinnern, wie sie ausgesehen hatte, als sie das letzte Mal miteinander zu tun hatten, im Besprechungsraum der Firma, in dem er das Interview gegeben hatte. Schmal war sie geworden, sie achtete auf ihr Gewicht oder kam nicht mehr regelmäßig zum Essen, hatte nicht mehr die Ruhe dazu, ständig in Angst, Zeit zu verlieren. Sie stand vor dem Schaufenster, in dem Plüschaffen auf und ab sprangen, früher hätte ihr das gefallen, vielleicht gefiel es ihr immer noch. Luise hatte ihr nervöses Hin und Her unterbrochen. Sie übersah den Mann, der hier neben Ampel und Zeitungsautomaten stand und sie betrachtete. Er sah ihr Haar, das so eng an den Kopf gelegt war, als wollte sie es zum Verschwinden bringen, sah ihren schmalen Hals, ihren engen Kostümrock, ihre hohen Absätze.
    Er war sich nicht sicher, ob sie noch studierte, von einer Arbeit über Horkheimer hatte sie einmal erzählt, aber war das bereits ihre Abschlussarbeit gewesen? Sollte sie sich doch Zeit lassen. Sollte sie doch tun, wonach ihr war. Solange sie nur nicht in der Firma arbeitete. Solange sein Schwager sie nur damit verschonte. In die Firma Tietjen, da gehörten Menschen wie Luise nicht hin. Luise hatte sich gefälligst aus der Gefahrenzone zu entfernen, zügig, solange es noch ging. Sie hatte sich von alldem fernzuhalten: Vom gerontologischen Pflegedienst, der in der vierten Etage zusammenkam und unter dem Decknamen Gesellschafterversammlung der moribunden Firma zu Leibe rückte. Von der Buchhaltung, in der ein schwacher Absatz in Verband gewickelt wurde, um die peinlichen Verluste zu kaschieren.
    Sie drehte sich um, blickte ihn an. Einen Augenblick lang sah sie irritiert aus, oder spiegelte sich nur seine eigene Verwunderung in ihrem Gesicht wider? Sie hatte nichts Kindliches mehr an sich, und nun war Kurt unsicher, ob nicht er sich täuschte, indem er sie für seine Tochter hielt. Sie kam auf ihn zu, er konnte nicht mehr ausweichen. Jetzt musste er sie begrüßen, aber wie begrüßte man eine Person, von der man nicht wusste, wer sie war? Sie streckte ihm die Hand entgegen. Begrüßte man so Verwandte? Oder Geschäftspartner? Oder Fremde?
    Wie ihr Flug gewesen sei, erkundigte er sich. Ihr Hotelzimmer?
    Danke. Gut. Eine Auskunft, die keine Auskunft war, doch auch seine Frage war keine Frage gewesen, nur Unsicherheit.
    Dass sie Hunger haben müsse, sagte er.
    Er wollte sie von hier fortbringen, in ein Restaurant, ihm fiel nichts anderes ein, wohin hätte er sie mitnehmen sollen, doch nicht zu sich nach Hause, nicht nach Redhook, da passte sie nicht hin. Sie passte in ihr Elternhaus, in die weiche Hanglage, in den gepflegten Garten.
    Und die Firma?, erkundigte sich Luise. Er war überrascht, dass sie ihn danach fragte. Sie fügte nichts hinzu. Kein weiteres Wort. Keine Neuigkeiten. Nein, in der Firma arbeitete sie sicher nicht, sie hatte nie ein Interesse an der Firma oder an der freien Wirtschaft gezeigt. Nach der Schule hatte sie sich für Philosophie eingeschrieben, nein, die Firma war nicht ihre Welt, auch nicht im Kostüm und mit lederner Aktenmappe.
    Ach, die Firma, sagte er nur.
    Und warum lässt du sie nicht los?
    Er hätte gern gelacht ( er ließ nicht los!), aber das würde sie ihm nicht als Antwort durchgehen lassen. Sie war streng, seine Tochter, und sie hatte keine Ahnung. Es war geradezu lächerlich. Luise belehrte ihn über Verpflichtungen. Über Werner, den er in Frieden lassen solle. Was wusste sie schon?
    Das ist es doch, was du an New York liebst, warf sie ihm vor. Dass sie hier alle gescheitert sind. Alle andern. Mein Großvater. Dein Großvater.
    Ihre Stimme erlaubte keinen Widerspruch. Er widersprach dennoch. Er betrachtete sie, ihre kalte, weiche Haut an den Wangen, leichter Rougestrich, ihre Hände, die bereits gelernt hatten, bedenkenlos nach den Dingen zu greifen. Was er hier wolle?
    Hastige Passanten kamen ihnen entgegen, die der Zeit nachjagten, ohne sie je einzuholen. Seine Tochter

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