Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
sehen.
Als ein neuer Gang gebracht wurde und er seine Erzählung kurz unterbrach, versuchte sie erneut, ihn zu der Unterschrift zu bewegen. Sie glaubte wohl, sie ginge unauffällig vor, sprach von Carola, nicht vorwurfsvoll, sondern so, wie man entfernte Bekannte übereinander auf dem Laufenden hält. Es war rücksichtsvoll von ihr, das schon, unter anderen Umständen wäre er ihr dankbar gewesen.
Bei ihrem dritten Versuch legte er das Besteck beiseite, griff über den Tisch, drückte ihre Hand nach unten. Hör zu, Luise, spar dir deine Mühe. Ich werde dir die Unterschrift nicht geben. Ich halte nichts von Werner, ich halte nichts von Werners Entscheidungen.
Es sind leider die einzigen Entscheidungen, die es überhaupt noch gibt.
Was interessiert dich die Firma? Und Werner hat nicht über dich zu bestimmen.
Sie zog die Brauen hoch, wie es ihre Mutter zu tun pflegte, und lachte kurz auf, ein Lachen ohne Ironie.
Sieh dir doch deine Tante an, sagte er. Sieh dir an, was aus jemandem wird, der auf einen Werner Kettler hört. Sie sitzt nur noch vor dem Fernseher. Bei allem anderen fängt sie wie ein Kleinkind an zu flennen.
Du glaubst doch nicht, dass es ohne Werner anders gekommen wäre, entgegnete Luise.
Im Gegensatz zu dir, liebes Kind, habe ich es miterlebt.
Ihr habt ihr nichts zugetraut. Ihr habt ihr keine einzige Entscheidung in der Firma überlassen. Sie hatte doch gar keine andere Wahl, als vor dem Fernseher irrezuwerden.
Ob jemand eine Wahl hat! Kurt lachte auf. Weißt du, das ist –
Der Kellner kam zu ihnen an den Tisch, vergewisserte sich, dass alles zu ihrer Zufriedenheit war. Kurt winkte ihn wie eine lästige Fliege beiseite.
Ich lasse doch meine verrückte Schwester nicht über wichtige Betriebsabläufe entscheiden, sagte er und gab die Hand seiner Tochter frei.
Sie ist erst danach durchgedreht, sagte Luise. Deswegen. Weil ihr sie wie ein kleines Kind behandelt habt.
Kurt schüttelte den Kopf, ohne weiter darauf einzugehen. Seine Schwester interessierte ihn schon lange nicht mehr. Die war der Firma entkommen, vor Werner, ja, vielleicht auch vor ihm. Was hätte er dafür gegeben, an ihrer Stelle zu sein.
Sie aßen schweigend, dann ließ er die Rechnung kommen, ehe sie den Kaffee bestellten. Dem Kellner wäre es mit Luises Kreditkarte wohler gewesen, aber er brachte den Beleg, Kurt Tietjen zeichnete ab, wie er immer abgezeichnet hatte, eine beinah waagerechte Linie von links nach rechts. Seine Tochter hatte sich bereits erhoben, er saß noch, blickte zu ihr auf. Er zögerte, sagte dann: Ich möchte, dass du wiederkommst, Luise.
Ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Sie griff nach der Visitenkarte des Restaurants und drehte sie zwischen den Fingern, als hinge es von der Qualität des Restaurants ab, ob sie einwilligen würde. Der Kellner drängte im Hintergrund zur Eile, die nächsten Gäste warteten an der Bar. Die schmalen Augenbrauen seiner Tochter zogen sich in die Höhe, er betrachtete die kosmetische Kontur ihres Gesichts. Er war ruhig. Er wusste, sie würde sich ihm nicht widersetzen.
Er sah sie davonstolzieren, schmal und korrekt, sie passte sich ihrer Umgebung an. Jederzeit konnte sie in eines der Bürohäuser abbiegen, dem Doorman zunicken, der am Eingang hinter seinem polierten Tresen stand, im Aufzug kontrollierte sie kurz ihre Frisur, alles würde in Ordnung sein. In ihrer kleinen Welt wäre alles in Ordnung. Sie hatte keine Ahnung, dass es noch eine Welt dahinter gab. Sie hatte von nichts eine Ahnung, glaubte, es sei ihre Pflicht, ihn zu Entscheidungen zu zwingen, die lächerlich waren. Aber was wollte sie? Sie wollte doch nicht ernsthaft die Firma retten.
Kurt lief den U-Bahn-Schacht hinab, eine Reggae-Band spielte zwischen den Stahlträgern, er nahm es nur undeutlich wahr. Die Bahn fuhr ein, Fahrtwind wehte ihm das Haar aus dem Gesicht. An ihm vorbei drängten Menschen, die er nicht kannte und die er nie wieder sehen würde. War das nicht eine passable Art, miteinander auszukommen?, dachte er.
Als Luise klein gewesen war, hatte Kurt kaum Zeit für sie gehabt. Wenn er von der Firma heimkam, schlief sie bereits, oder sie schrie gegen ihre Mutter an, die sie zum Zähneputzen oder zum Schlafengehen bewegen wollte. Es hatte ihn überfordert, dieses winzige schlafende Etwas ebenso wie ihre Wut, deren Ursache er nicht verstand. Es passte nicht zu seinen bisherigen Gepflogenheiten. Er war Luise ausgewichen, weil er Angst vor ihr gehabt hatte.
Während sie heranwuchs, beobachtete er
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