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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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Interesse daran gehabt? Luise hielt ihren Onkel für redlich und pflichtbewusst. Was wusste sie schon.
    Werner saß also weiterhin in seinem Büro, schob Aufgaben von Stockwerk zu Stockwerk und ignorierte die Tatsache, dass er inzwischen allein war. Es gab niemanden, auf den er bauen konnte. Die Leute, die noch bei Tietjen und Söhne arbeiteten, würden zusammenbrechen, sobald man Verantwortung auf sie lud, und jene, die etwas bewegt hatten, waren zu Schermerhorn gegangen, wer wollte schon in einer Gerontologie arbeiten.
    W.W. war als Erster gegangen, Mitte der Neunziger, er war immer der Erste gewesen, weil er verstand, worauf es ankam. Er hatte es Kurt an einem Feiertag gesagt, war zu ihm hinausgefahren, hatte mit Carola gesprochen, mit der kleinen Luise, ein harmloses Schulkind damals, und dann, oben in Kurts Arbeitszimmer, war es W.W. doch schwergefallen, seine Entscheidung auszusprechen. Kurt und er waren zwar keine Freunde, nein, Freundschaft hätte er es nicht genannt, aber sie waren einander zugeneigt. Zusammen hatten sie ein gutes Team abgegeben: W.W. war derjenige, der sich um die Zahlen kümmerte, Kurt Tietjen derjenige, der repräsentierte. W.W. hing an nichts, er hatte kein Faible für Frottee, keinen Blick für Farben oder Texturen, ihn interessierte nur der Absatz. Er war kein Dogmatiker, er trennte sich von einer Überzeugung, wenn sie sich als ungünstig erwies.
    Man kann sich aufbäumen und man kann sich lächerlich machen. Meistens, hatte W.W. immer gesagt, ist es ein und dasselbe.
    Das, was ein Werner Kettler nicht besaß, scharfes Kalkül und Seelenruhe, wollte Kurt von W.W. lernen. Klug und schnell, das konnte auch Werner, das Entscheidende aber beherrschte W.W., nämlich klüger und schneller als die anderen zu sein.
    Tietjen, es geht nicht darum, die Welt zu retten, hatte W.W. ihm gesagt. Damit würdest du dich, nimm es mir nicht übel, übernehmen. Die Welt kann man nicht retten, und sie ist im Übrigen egal.
    Die meisten hatten geglaubt, W.W. sei damals wegen des Geldes gegangen. Schermerhorn hatte mehr geboten, aber nicht wesentlich mehr, nicht so viel, dass es einen Unterschied gemacht hätte, nicht für einen wie W.W., der in anderen Größenverhältnissen rechnete, tagtäglich. Natürlich hatte Werner seine Finger im Spiel gehabt, Werner hatte vermittelt, Werner hatte gedrängt, Werner hatte W.W. in der Firma Tietjen Steine in den Weg gelegt, wo er nur konnte, und Kurt glaubte gern daran, dass W.W.s Weggang allein Werners Schuld gewesen war. Aber letztendlich hatte W.W. wohl das Phlegma nicht mehr ertragen, das in den Gängen der Firma Tietjen herrschte. Ein Phlegma, dessen Quelle, wie Kurt es sich endlich eingestand, vermutlich nicht allein Werner, sondern auch er selber gewesen war.
    Nach W.W. waren die anderen gegangen, nicht alle, aber alle, auf die es ankam, auf die es zumindest Kurt angekommen war. Seitdem stellte die Personalabteilung nur noch Kinder ein, geschmeidige Jungen wie diesen Krays, der nach Milch roch, nach Milch mit einem Hauch Wodka.
     
    Ob er ihnen noch Wein bringen dürfe, fragte der Kellner. Kurt winkte ihn fort, der Kellner aber reagierte nicht auf ihn, entfernte sich erst, als er von Luise die Weisung erhielt.
    Sie saßen einander gegenüber, Tochter und Vater, zwei Fremde. Beinah hätte der Kellner Kurt den Zutritt verweigert, es war peinlich, ja, aber hatte er das nicht so gewollt? Luise hatte sich für ihn einsetzen müssen: dass er ihr Vater sei. Vater? Onkel, hatte sie sich korrigiert. Ob der Kellner es ihr geglaubt hatte oder nicht, er hatte schließlich beschlossen, Luises Kreditkarte zu glauben, die sie ihm für die Rechnung hinterlegte.
    Kurt sprach von Werner, von der Firma, von seinem Vater und seinem Großvater. Was er sagte, schien ohne die geringste Wirkung durch Luise hindurchzuziehen. Sie fragte nicht, weswegen er aus Essen weggegangen war, aber sie nahm es auch nicht einfach hin. Sie ließ Bemerkungen über New York fallen: Freiheitskitsch, Traumanstalt, unecht, leblos. Ein Hamsterrad. Menschen, die sich für den Nabel der Welt hielten, weil sie nichts anderes kannten. Provinzidioten im Prinzip. Kurt antwortete nicht auf ihre Abfälligkeiten, er erzählte stattdessen von der Firma. Er erzählte vom Senior und von Justus und davon, wie sie alles und jeden behandelt hatten, als wäre es ihr Eigentum.
    Luise hörte ihm zu, jedoch mit einem, wie Kurt meinte, spöttischen Lächeln im Gesicht. Sie würde schon noch sehen. Sie alle würden noch

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