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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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wich den Entgegenkommenden aus, drängte sich an ihn. Er roch sie, es war kein Mädchengeruch mehr, sondern der einer Frau. Sie hakte sich bei ihm unter, zog ihn mit sich.
    Was wusste sie schon? Er dachte an Werner, der mit der Autorität eines Oberarztes durch die Firma stolzierte, an Schläuchen, Kathetern und Fisteln zog, die den Betrieb provisorisch am Leben hielten, dabei konnte man die Firma nur noch retten, indem man sie endlich in die Insolvenz entließ. Sterbehilfe nannte man das.
    Und sie, sie redete davon, wie man mit Träumen Mieten bezahlte. War sie dafür hergekommen? Hatte sie dafür diese Verkleidung ausgewählt? Werner rannte mit seinem Anwalt gegen Kurt Tietjen und Wessner an. Nicht mehr zurechnungsfähig sei Kurt, das war es, was Werner ihm vorwarf. Natürlich war er nicht zurechnungsfähig, aber wer war das schon?
    Werner will deine Einwilligung, erklärte Luise.
    Ihr, sagte Kurt. Ihr braucht mein Einverständnis. Er wandte sich ab, winkte nach einem Taxi. Auch deshalb hatte er sie herbestellt: um zu erfahren, ob es ihr gutging, ob Werner sie in Ruhe ließ.
    Ein Taxi hielt, er riss die Wagentür auf, stieg ein, sie folgte ihm. Da war es wieder. Essen. Bleich, rachitisch, dennoch gewaltig. Zugegeben, er hatte auch wissen wollen, wie es um die Firma stand, um die staubigen Verwaltungsgänge, um das Büro mit den Ölgemälden, Justus als Patron, der Senior neben einem Pferd. Kurt wollte nicht, dass Luise davon vereinnahmt wurde. Von der Firma. Der Firmengeschichte. Es war alles wieder da. Der Druck, der auf ihm gelegen hatte. Die eigene Geltung, unter deren Gewicht er die falschen Entscheidungen getroffen hatte. Der schmale Korridor. Aufgaben. Zeitpläne. Er hatte über keine einzige freie Minute verfügt. Er besaß Geld, er hätte mehr Geld besitzen können, aber keine einzige Minute gehörte ihm selbst.
    Werner hat dich geschickt, sagte Kurt und lehnte sich zurück. Ich dachte, du wärest gekommen, weil ich dich angerufen habe.
    Natürlich bin ich gekommen, weil du mich angerufen hast, antwortete sie, musterte ihn von der Seite, nahm ihn unter Beobachtung.
    Natürlich. Werner spielte keine Rolle? Kurt drückte die Zeigefinger gegen seine Schläfen, starrte hinaus, sah aber nichts von dem, was draußen vorbeizog. Da waren der Schreibtisch, die Ledermappe, die Unterlagen, er musste sie abzeichnen, gegenzeichnen, seine Hand flog über das Papier. Einmal hatte er versucht, aus alldem herauszukommen, damals, als er gegen seinen Vater vor Gericht gezogen war. Aber war es tatsächlich ein Ausbruchsversuch gewesen, oder war der Prozess nicht doch wie alle Mittel der Tietjens gewesen: nur ein Trick, um zu zeigen, dass man besser als die anderen war?
    Sie hielten an einer Ampel, ein alter Mann starrte in den Wagen, Kurt blickte beiseite, sah das Straßenschild, 4th Street West .
    No, no, go back. 8th Street, I said , rief er ungeduldig dem Fahrer zu. Between Braodway and Lafayette.
    Kurt hatte seinen Vater vorgeführt, um selbst gut dazustehen. Und was hatte es ihm gebracht? Nichts hatte es ihm gebracht. Es hatte nur dazu geführt, dass Werner noch näher an den Alten herangerückt war. Und jetzt stand Luise neben Werner. Dass sie die Seiten gewechselt hatte… Aber das konnte ja nicht sein, sie war nicht wie die Tietjens, sie war anders, sie hatte anders zu sein. Leise und scharf wies er seine Tochter zurecht: Und du lässt dich von Werner als Botin ausnutzen.
    Der alte Mann starrte noch immer an derselben Stelle in den Verkehr, als sie aus der anderen Richtung an ihm vorbeifuhren. Nichts hatte Kurt damals mit dem Prozess gewonnen, nur seinen eigenen Vater hatte er damit ins Grab gebracht. Kurt sah zum Heckfenster hinaus. Der alte Mann blickte ihnen nach.
     
    Sie hatte keine Ahnung von Werner. Sie hatte keine Ahnung davon, dass Werner mit ihr über kurz oder lang ebenso umspringen würde, wie er mit Kurt umgesprungen war. Werner würde sich vor ihr aufbauen, Schulterschluss mit Krays, mit Schermerhorn, mit wem auch immer, und Luise hätte keine Wahl, so wie Kurt damals keine Wahl gehabt hatte. Werner würde jeden wegbeißen, der ihm seine Stellung streitig machte, so wie er damals auch W.W. weggebissen hatte, um das zu bekommen, was ihm seiner Meinung nach zustand, ihm, dem Schwiegersohn, dem Ziehsohn, dem eigentlichen Erben von Kurt senior. Werner hatte letztendlich auch Kurt weggebissen, wer sonst hätte die Geschichte um Herrn Liu an die Öffentlichkeit dringen lassen, wer außer Werner hätte ein

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