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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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seinem Tatar, sah sie an, lauernd. Sie blieb stumm, der Kellner hielt sich von ihrem Tisch fern, Kurt schob seinen Teller zurück und warf die Serviette auf den Tisch.
    Dass er ihr keine Unterschrift geben würde, erklärte er. Dass er von Werner nichts halte. Dass er von ihr nichts hielt, sprach er zwar nicht aus, zeigte es ihr aber deutlich. Auch gegen sie musste er sich stellen. Auch ihr traute er nicht zu, das Richtige zu tun.
    Er hatte es plötzlich eilig, forderte die Rechnung, kaum dass die Nachspeise abgetragen worden war. Luise hätte gern einen Kaffee getrunken, irgendwie musste sie sich aufrecht halten. Sie fragte nicht, ob sie sich vor ihrem Rückflug am nächsten Mittag noch einmal treffen würden, sie war froh, fortzukommen. Und als sie dachte, nun sei es vorbei, erklärte er: Ich möchte gern, dass du wiederkommst, Luise.
     
    Im Fenster, weit unter ihr, das Blau der New Yorker Bucht. Ihr Vater war zu weit hinausgeschwommen. Die Strömung trieb ihn immer weiter ins offene Meer. Es war hoffnungslos. Er wusste vermutlich nicht einmal selbst, was er wollte. Weshalb er wünschte, dass sie wiederkam.
    Sie hatte genickt. Sie würde wiederkommen. Ganz recht.
    Nun saß sie festgegurtet auf ihrem Lufthansa-Sitz, Fensterplatz, und blickte auf die Bucht unter ihr. New York war aus ihrem Sichtfeld verschwunden. Sie hatte nicht bekommen, was sie gewollt hatte, die Unterschrift. Aber sie wusste nun, dass ihr gelingen würde, was ihm nicht gelungen war: die Firma wieder zum Laufen zu bringen.
    Sie dachte an ihren Vater, der in seinem grauen T-Shirt vor ihr gestanden, sich umgedreht hatte und im Treiben auf der 8th Street East verschwunden war. Er hatte weder gefragt, wie es ihr ging, noch was sie nach ihrem Studium zu tun gedächte. Dergleichen interessierte ihn nicht. Das Flugzeug auf dem Bildschirm vor ihr nahm Kurs auf Grönland, Restflugzeit 7:10h. Wetter in Düsseldorf 9°, leicht bewölkt. Luise sah bereits ihre ersten Schritte in Essen voraus: Sie würde in die Firma fahren und alle nötigen Unterlagen zusammensuchen. Sie würde mit Wessner sprechen, Kurts Anwalt, und mit einem Anwalt, der kompetenter war als Wessner. Sie würde Krays einspannen, sie würde ein Dutzend Faulpelze aus der Verwaltung entlassen und ein paar von den zartbesaiteten Frauen aus dem Vertrieb, die immer nur Kaffee tranken. Sie würde sich von Experten erklären lassen, wie man Kurts Mitspracherecht umging.
    Unter ihr war nur noch eine massive Wolkendecke zu erkennen. Sie atmete tief ein und wieder aus. Die Stewardess lächelte die Sitzreihen entlang. Luise schaltete ihr Handy ein, schrieb eine Nachricht an Krays, dann eine an Werner. Sie würde nicht länger warten, sie fühlte sich gut, mehr noch, sie fühlte sich vollständig. Ihr Vater hatte schon einmal ihr Leben kaputtgemacht. Dafür würde sie sich rächen. Sie baute seine Firma wieder auf.

XI
     
    Neben dem Grocery Store saß ein Obdachloser, die Augen geschlossen, den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt. Seine linke Hand war halb zur Faust geballt, als hielte er etwas umschlossen, aber er hielt nichts. Der Zeigefinger seiner rechten Hand war mit einem Pflaster umklebt und ragte aus der Reihe der anderen Finger heraus. Der Mann bewegte sich nicht, die Kapuze seines schmutzigen Pullovers staute sich in seinem Nacken. Der Finger zeigte starr vor sich hin, zeigte regungslos an einem Fleck auf seiner Hose vorbei. Der ganze Mann war nicht nur reglos, er hielt nicht bloß seine Muskeln still, sondern alles in ihm war erstarrt, und Kurt merkte, dass er auf eine Leiche sah.
    Erschrocken oder auch nur erstaunt, wandte er sich eilig zum Weitergehen, es kam ihm gar nicht in den Sinn, etwas anderes zu tun, erst später dachte er daran, doch in dem Moment war es, als stiege eine fast vergessene Warnung aus Kindertagen in ihm hoch: Sprich nicht mit Fremden. Er meinte, einen Leichengeruch wahrzunehmen, etwas, das er noch nie gerochen hatte, deshalb musste es eine Täuschung sein, es war wohl nur eine vergammelte Frucht, die unter die Auslage des Grocery Stores gefallen war. Nach wenigen Schritten musste er an der Ampel halten, ein Schulbus fuhr an ihm vorbei, hielt. Eine Reihe Mütter stellte sich vor dem gelben Gefährt auf, die Frauen klopften in holprigem Rhythmus gegen die Scheiben und weckten ihre Kinder, die ans Fenster gelehnt eingeschlafen waren. Es dauerte einige Zeit, eine scheinbar endlose Weile, bis das erste Kind in der Tür erschien, von der Busfahrerin über die Pfütze gehoben

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