Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
hatte auf ihm geruht, kochend vor Neugier. Herausgewagt aus dem Schatten des Cafés hatte sich der Junge allerdings nicht. Flaue Wärme lag in der Stadt, fast zwanzig Grad mitten im November.
Eine halbe Stunde verspätet war Kurts Vater eingetroffen. Den ganzen Tag war er in der grellen Sonne herumgelaufen, sein Gesicht war gerötet, um die Augen herum allerdings blass. In einem dunkelblauen Sakko saß er auf dem splittrigen Holz des Klappstuhls und hatte einen Kaffee bestellt, der nicht serviert wurde.
Ich möchte nicht, erklärte der Senior, dass etwas von unserer New-York-Reise herumerzählt wird. Unser Treffen mit dem Mitarbeiter von Macy’s, wie hieß er gleich –?
Koch.
Es gibt ihn nicht.
Nein, sagte sein Sohn, es gibt ihn nicht.
Wir haben nie in Amerika Verhandlungen geführt.
Nie, wiederholte sein Sohn.
Dass du es begreifst, habe ich erwartet. Aber bleu es deiner Frau ein. Sie hat in den Familienangelegenheiten nichts zu suchen. Wir suchen ja auch nicht. Wir erhalten.
Er spielt wieder auf den Prozess an, dachte Kurt. Er glaubte, dass sein Vater an nichts anderes denken konnte, weil er selbst an nichts anderes dachte, wenn er seinen Vater sah. Kurt übersah dabei, dass sich der Senior niemals mit Dingen aufhielt, die abgeschlossen waren.
Der Senior blickte sich nach dem Kind um, das sich neben den Eingang des Cafés an die Wand gelehnt hatte und die fleckige Haut seiner Knie untersuchte. Er rief etwas in gebrochenem Polnisch, das sich harsch anhörte, wenn Kurt es auch nicht verstand. Das Kind blickte zu ihm herüber und verzog sich ins Innere, um kurz darauf endlich den Kaffee zu bringen.
Hier geht doch alles den Bach runter, sagte der Senior. Das hier war mal eine Region, in die man investierte. Wir haben geglaubt, wir müssten nur die Hände aufhalten. Wir dachten, das hier sei der Nabel der Welt. Ich verstehe nicht, was mit diesem Land passiert ist.
Nein, dachte Kurt, das verstand sein Vater nicht. Er war ein Mann, der keinen Verfall ertrug.
Nur kurz war Kurt hineingegangen, um die Toilette zu benutzen, ein stickiger, im Dämmerlicht eingeschlossener Raum. Er hatte sich die Hände gewaschen, länger als gewöhnlich, da nur Tropfen aus dem Wasserhahn fielen. Als er zurück in die Helligkeit trat, sah er seinen Vater nicht mehr. Der Platz, an dem sie gesessen hatten, war leer, die beiden Klappstühle brachen verlassen in der Sonne auseinander. Auf dem Tisch stand die Tasse, sein Vater hatte den Kaffee noch getrunken, ein schwarzer Rest färbte den Boden. Daneben, unberührt, ein Glas Wasser. Kurt blickte die Straße hinauf. Ein Auto fuhr ihm entfernt entgegen, aber keine Menschenseele lief auf der Straße. Er trat an den Rand der Terrasse, im Industriegeröll sammelte ein Mann Müll auf, Kurt trat zurück, ging zum anderen Rand.
Sein Vater hatte sich um die Ecke geschleppt. Was auch immer er dort gesucht hatte – gefunden hatte er es offenbar nicht. Er kauerte an der Hauswand, sein Gesicht hatte alle Farbe verloren, er atmete tief aus, seine Hände waren ineinandergelegt, die Augen geschlossen.
Kurt beugte sich hinab, fragte, was mit ihm los sei, aber die Worte drangen nicht bis zu seinem Vater. Kurz flatterten die Lider auf, aber dahinter war nur Augapfelweiß. Dieser Mann hatte keinen Blick mehr. Er reagierte nicht, als sein Sohn ihn an der Schulter fasste, blies Luft aus, als habe er etwas eingeatmet, das ihm nicht bekam. Das Sakko war ihm zu groß, die Manschetten zu stumpf, unerträglich stumpf.
Kurt rief nach dem Jungen aus dem Café, ein paar gestammelte Laute. Seinen Vater allein zu lassen wagte er nicht. Kurt rief noch einmal. Es musste sich entsetzlich angehört haben, denn der Junge kam, noch ehe Kurt zu einem dritten Ruf ansetzte.
Sein Vater schüttelte den tauben Kopf. Es war kaum hörbar, was er sagte, aber Kurt verstand: Keinen Arzt.
Keinen Arzt, versicherte Kurt. Er wollte seinem Vater die Angst nehmen. Und er wusste ja, was dahintersteckte. Für seinen Vater hieß ein Arzt das Ende. Ein Tietjen war nicht krank. Er starb irgendwann, weil Menschen nun einmal sterben, aber er war niemals krank.
Keinen Arzt, wiederholte der Senior.
Sie hoben seinen Vater an, der Junge links, er rechts. Sie gingen ein paar Schritte von der Terrasse hinunter. Auf der verlassenen Allee war es still, kein Motor, der in der Ferne unter einer veralteten Kühlerhaube dröhnte, nur den gepressten Atem seines Vaters hörte Kurt nah an seinem Ohr. Er hatte seinen Vater nie atmen hören. Dieser
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