Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
willenlos gestemmte Atem brach mit allem, was in der Familie Tietjen üblich war. Autoritäten atmeten nicht, Autoritäten entschieden.
Entfernt hörte er endlich einen Wagen näher kommen, kein Notarzt, ein einfaches Taxi hielt vor ihnen, und der Junge half, den schweren, in teuren Stoff gefassten Körper auf den Rücksitz zu heben. Kurt drückte ihm einen Geldschein in die Hand, achtete nicht darauf, wie viel er wert war, und nicht auf das Gesicht des Jungen, als dieser ihn entgegennahm. Es musste einiges gewesen sein, denn Kurt sah noch, wie der Junge am Straßenrand stehen blieb und ihnen winkte.
Während der Fahrt war sein Vater nicht ansprechbar, seine Haut weiß und kalt, allein der Schweiß, der auf der Stirn stand, verriet, dass in seinem Körper noch Leben war. Der Fahrer redete in einem starken Akzent auf Kurt ein, Silbenreihen, aus denen Kurt nur einzelne Wörter erkannte. Arzt, Notfall, Krupp. Kurt hielt seinen Vater im Arm, strich ihm über das schweißnasse Haar. Krankenhaus Alfried Krupp?, kam es von vorne. Nein, kein Krankenhaus, bestimmte Kurt und wiederholte ihre Adresse.
Der Lederbezug, an dem das Gesicht seines Vater lehnte, war alt und abgescheuert, ein Gestank nach Zigaretten, Obst, Tee und Schlaf füllte den Sitzraum, als sei dies nicht nur der Arbeitsplatz, sondern auch der Wohnort des Fahrers, als fände hier sein ganzes Leben statt.
Der Wagen hielt vor Tietjens Wohnhaus, man öffnete ihnen diensteifrig die Wagentür, hielt sich dann aber zurück. Im Zimmer, auf das Bett gelegt, schlief sein Vater sofort ein. Carola hatte nichts mitbekommen, dafür hatte Kurt gesorgt. Sein Vater hätte es nicht gewünscht. Er lag auf dem Bett, klein wie ein Kind. Sein Atem ging ruhig, doch Kurt saß daneben und fürchtete, er könnte jeden Moment aussetzen. Das Gesicht hatte seine Spannung verloren, es war beinah unkenntlich, wie eine Prägung, die flach gewetzt war.
Kurt Tietjen hielt nichts von Zugeständnissen, die man erzwang, und er misstraute Versprechen, die ohne Zeugen gegeben wurden. Solche Versprechen waren keine Versprechen. Woran er glaubte, waren Verträge. Alles andere spielte keine Rolle. Das hatte er gelernt.
Es war nur ein kurzer Wachmoment gewesen, als sein Vater jene gepresste, kaum hörbare Forderung gestellt hatte: Versprich mir, dass du dich um das Unternehmen kümmerst. Ohne das Unternehmen gäbe es uns beide nicht.
Kurt hatte genickt, das wohl, auch wenn sein Vater das nicht mehr sehen konnte. Sein Blick war bereits wieder abgesunken, der winzige, schwitzende Kopf auf dem Laken lag bewusstlos da. Kurt hockte neben ihm und lauschte auf seinen Atem. Ein, aus. Ein, aus. Stille. Er drückte die Hand seines Vaters, lauschte. Ein, aus. Ein, aus. Ein, aus. Stille.
Die steifen Ecken des Kissens ragten über dem Kopf seines Vaters in die Höhe, daneben der Nachttisch, eine Lampe, ein Kugelschreiber. Wenn ein Mensch wie der alte Tietjen einbrechen konnte, dann war alles möglich. An diesem Nachmittag hatte Kurt Tietjen kein Versprechen gegeben, er hatte lediglich versucht, seinen Vater am Leben zu halten. Er wollte nicht dabei sein, wenn sein Vater starb.
Nach zwei Stunden war sein Vater erwacht, rosig wie ein Säugling, hatte einen Kaffee gefordert, wollte ein Steak essen. Der Senior hatte sich aufgesetzt, seine Krawatte, die lose um seinen Hals hing, neu gebunden und wortlos abgestritten, dass irgendetwas vorgefallen war.
Kurt verließ das Haus. Er hatte sich an seiner Frau vorbeigeschlichen, die allein am weiß gedeckten Tisch im Esszimmer saß und aus dem Fenster sah. Er wusste nicht mehr, wofür er zuständig war. Vielleicht, dachte Kurt, hatte er es nie gewusst. Er war angestellt im Unternehmen seines Vaters, bezog neben seinem Gehalt Einkünfte aus Geldanlagen. Er hatte eine Sekretärin, die ihm seine Termine zusammenstellte, aber worauf sich diese Termine bezogen, warum er nicht frei über seine Zeit verfügen konnte, das war ihm unklar. Er saß in der Geschäftsführung, aber er kam nie zu Wort. Er musste alle Abläufe in der Firma kennen, aber er durfte nichts entscheiden. Er arbeitete neue Konzepte aus, die regelmäßig übergangen wurden. Sein Vater glaubte nicht an ihn. Kurt Tietjen hatte einen Namen, aber der Name ging bei ihm nicht in Erfüllung.
Kurt stand vor seinem Elternhaus, eine leere Getränkedose rollte über den Gehsteig, kippte in den Rinnstein, wurde vom Fahrtwind eines vorbeifahrenden Wagens fortgerissen. Er wusste nicht, wozu er hier war. Er lief die
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