Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
und sie begriff nicht, warum Krays das nicht einsah.
Die Arbeit, die sie sich aufhalste, sei eine Zumutung, sagte Krays zu ihr und er hatte damit sogar recht, aber das ganze Leben war eine Zumutung, und Luise befand sich in der privilegierten Situation, sich ihre Zumutungen selbst aussuchen zu können. Ihre Zumutungen bewirkten zudem etwas. Sie genoss es, dass Entscheidungen, die sie fällte, eine Kette von Reaktionen auslösten. Und sie dachte daran, dass es Menschen wie ihren Vater gab, die ein Privileg besaßen und nichts damit anfingen.
Eines Abends fand sie Krays in seinem Büro, apathisch vor sich hin starrend. Obwohl sie die Tür laut hinter sich schloss, regte er sich nicht. Luise blieb einige Sekunden neben dem Türrahmen stehen, sah Krays’ Profil, seine Augen, die auf den Bildschirm gerichtet waren, auf dem das Logo der Firma Tietjen und Söhne Frottee AG leuchtete.
Dass Krays sich an manchen Abenden mit einer Angestellten aus der Vertriebsabteilung traf, mit Lotte Bender, die falsche Perlenohrringe trug und dümmlich vor sich hin lächelte, hatte Luise von zwei Mitarbeitern gehört. Sie hatten es ihr nur angedeutet, eigentlich nicht einmal von einem Treffen gesprochen, sondern lediglich von längeren Besprechungen nach Dienstschluss, aber Luise wurde den Verdacht nicht mehr los, dass Krays sich heimlich ihrem Einflussbereich entzog. Seitdem war sie stets ein wenig unruhig, wenn sie Krays in seinem Büro aufsuchte. Sie sog prüfend die Luft ein, versuchte ein Damenparfum herauszuriechen, aber sie nahm nur Krays’ vertrauten Geruch wahr. Er hatte sich noch immer nicht zu ihr umgedreht.
Was ist los, Krays? Ich dachte, du wärst schon nach Hause gefahren.
Endlich wandte er sich zu ihr, langsam, wie jemand, der alt und gebrechlich war. Seine Augen waren gerötet.
Luise, ich kann nicht mehr. Ich kann mich nicht um alles kümmern.
Wer erwartet das von dir?, fragte Luise. Ich komme gut ohne dich zurecht.
Du weißt, dass es nicht so ist. Oder machst du dir was vor? Glaubst du, dass du alles im Griff hast? Luise, mir gefällt nicht, was aus dir geworden ist.
Sie ging auf ihn zu, sog seinen Geruch ein, der eigentlich der Geruch seiner Kleider war, die Dämpfe der Reinigung, die noch an seinem Anzug hafteten, sie strich über seine Stirn, griff in sein Haar, riss ein wenig zu heftig daran, so dass er den Kopf zur Seite wenden musste. Wer wärst du denn ohne mich in dieser Firma, Krays?
Ich frage mich langsam, wer ich überhaupt noch bin, entgegnete er. Luise, ich muss schlafen, ich muss atmen, ich muss einfach mal aus diesem Büro raus.
Dann geh doch. Geh, sagte Luise. Sie trat einen Schritt zurück, ihre Finger spielten unruhig mit den Stiften, die auf seinem Schreibtisch lagen. Aber erwarte nicht, dass ich dir dabei helfe.
Niemand hat gesagt, dass ich abhaue. Und ich brauche deine Hilfe nicht, Luise. Du hast mir noch nie geholfen. Ich habe immer nur dich unterstützt.
Du willst, dass ich mich erkenntlich zeige?
Nein, hör zu –
Aber Luise fuhr ihm über den Mund. Gut, Krays, ich verstehe. Luise ging leicht in die Knie, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein. Werner hat lange genug auf seinem Posten gepennt. Es wird Zeit, dass man ihn aus seinem Tiefschlaf holt. Sie erhob sich wieder und ging zur Tür. Dort blieb sie, mit dem Rücken zu Krays, einige Sekunden lang stehen, dann drehte sie sich noch einmal um und sagte: In drei Monaten wirst du Vize der Firma Tietjen und Söhne sein.
Luise, darum geht es mir nicht, rief Krays ihr nach, aber Luise hatte die Tür schon zugezogen.
Justus Tietjen tauchte vor Luises Augen auf, galant angelte er mit seinem versilberten Spazierstock Frauen aus den Fenstern eines Puppenhauses. Sie sah Kurts Vater, den Senior, als Riesen, der die Hochhäuser von New York wie leere Konservendosen zertrat. Sie sah Kurt, ihren Vater, wie er in seinem überhitzten Apartment vor einem Plastikventilator saß, seine Kleider spannten, sein Gesicht wölbte sich zu einer prall gespannten Maske, es ekelte sie, er ekelte sie an.
Ein heftiges Absacken der Maschine rüttelte sie auf. Kurz musste sie eingenickt sein, in ihrem Bewusstsein trieben Fetzen eines Traumes. Aus dem Cockpit kam eine Durchsage: Turbulenzen. Und kurz darauf der freie Fall der Kabine, heftiges Rütteln, dann wieder Fall. Sie saß in einer Nussschale. Zwei Passagiere versuchten sich an den Armlehnen festzuhalten, aber alles, was sie greifen konnten, stürzte mit ihnen ab. Die Übrigen blieben ruhig,
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