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Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)

Titel: Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Bossong
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über den anderen zu wissen, als umgekehrt. Schließlich belog sie ihn ja nicht, sie verschwieg ihm nur einige Details, so wie er den Gläubigern, den Banken, dem Finanzamt einige Informationen verschwiegen hatte, um die Firma am Leben zu halten, bis die Krise überstanden war. Der Unterschied zwischen Werner und Luise lag nicht in der Taktik, sondern darin, dass Werner vom Überleben ausging, während Luise darum zu kämpfen begann.
    In jenen ersten Wochen, nachdem Kurt aus Essen verschwunden war, hatte Luise gehofft, hinter dem Gesicht ihres Onkels würde irgendwann das Gesicht ihres Vaters in Erscheinung treten. Sie glaubte nicht an Werner und auch nicht an ihre Tante, die Werner an die Familie der Tietjens band, Fiona war so früh in ihrer Verwirrtheit abhandengekommen, dass sie für Luise nur noch als Gerücht vorhanden war. Luise hingegen wollte nicht bei lebendigem Leibe, bei vollem Bewusstsein aus der Welt fallen. Sie hatte durchaus den Willen zu existieren.
    Luise wartete am Astor Place auf ihren Vater, wie sie bereits vor Macy’s und an der Lafayette Street auf ihn gewartet hatte, zuerst nervös und dann mit einer plötzlichen Ruhe. Niemals hätte er sie zu sich nach Hause oder auch nur in seine Nachbarschaft eingeladen. Wieder traf er verspätet ein und sah schlechter aus als bei ihrem letzten Besuch, ungepflegt und aus der Form geraten. Sie begrüßten sich ungeschickt und spazierten den Broadway hinab. Kurt sprach von sich, natürlich, er kreiste noch immer um sich selbst und rückte die Dinge so zurecht, dass sie den rechten Schatten auf ihn warfen. Er schilderte die Geschichte der Tietjens, wie er sie gern gehört hätte, er erzählte von kleinen Diktatoren, die über ihr Frotteereich herrschten, dabei machte er sich selbst des größeren Vergehens schuldig: Er herrschte nicht, obwohl er nun einmal auf dem Fürstenplatz saß.
    Luise berichtete ihm von ihren Plänen, die Fernostgeschäfte auszubauen. Kurt reagierte nicht, fragte nicht nach den Hintergründen, pochte nicht auf sein Vetorecht, vielleicht hatte er begriffen, dass man in Essen nicht mehr gewillt war, auf seine Launen Rücksicht zu nehmen.
    Du bist nach China gereist?, fragte er schließlich. Nein? Dann sieh es dir mal an. Schön ist es da nicht.
    Wer wollte denn dort produzieren lassen?, entgegnete sie. Du warst vor Ort und hast die Verträge mit den Fabriken abgeschlossen.
    Ach, was weiß ich. Ich weiß auch nicht mehr, wo ich überall gewesen bin. Seine Stimme klang müde. Bislang hatte Luise gedacht, es seien die Monate in New York, die ihn erschöpft hatten, all der Lärm. Doch vielleicht war es gar nicht New York, dachte sie jetzt, vielleicht war New York sein letzter Versuch gewesen, zur Ruhe zu kommen.
    Sie hatten sich wieder zum Gehen gewandt, hinauf Richtung Central Park, rechts die Wall Street, links die Cafés, in denen Juristen und Banker Filterkaffee aus glänzenden Thermoskannen tranken. Kurt deutete auf zwei Herren in Anzügen, die ihnen entgegenkamen, Luise war es unangenehm, wie auffällig er sich dabei verhielt.
    Die glauben tatsächlich noch an ihren Dreisatz: Wer arbeitsam ist, ist ein besserer Mensch, wer ein besserer Mensch ist, verdient mehr vom Leben. Dabei ist doch alles, was sie von früh bis spät auf dem Börsenparkett machen, nichts als ein großes Videospiel. So ist es, sagte er. Irgendwann werden sie mit all ihrer protestantischen Ethik gegen die Wand fahren.
    Kurt begann von Streik, von Mitbestimmung und Gewerkschaft zu reden, es war Unsinn, Kurt malte ein bizarres Schauspiel aus, aber Luise widersprach ihm nicht. Sie blickte auf die gotisch verzierten Hausspitzen an der Barclay Street, ließ sie vorüberziehen. Sie trieben weg wie längst tauende Eisberge.
    Streik, Mitbestimmung, Gewerkschaften. Kurt begriff nicht, wie es sich tatsächlich damit verhielt, weil er nie aus seiner Welt herausgekommen war, weder in Essen noch in New York, wo alles schneller und härter war. Immerhin blieben die Menschen hier am Laufen und versanken nicht in Lethargie wie im alten traurigen Essen. Da war es nicht besser, dachte Luise, nur anders. Es gab keine Mitbestimmung, nur einen chaotischen Betriebsrat, der Briefe verfasste, die von nichts handelten und von niemandem gelesen wurden. Es gab keine Gewerkschaften, nur einen verfetteten Verwaltungsapparat, in dem unzählige Formulare und Petitionen angehäuft wurden. Die Menschen, die von ihnen auf die Straße geschickt wurden, wollten nicht demonstrieren, sondern einfach nur

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