Gesellschaft mit beschränkter Haftung: Roman (German Edition)
Franzose.
Sie haben uns längst überholt, stellte ein Belgier fest.
Sie können ganz Europa aufkaufen, wenn sie nur wollen. Und über kurz oder lang werden wir darum betteln, dass sie es tun.
Ich lasse mir mein Haus nicht von denen wegkaufen, erklärte Keuner, der schon seit Jahren sein Haus in Deutschland nicht mehr betreten hatte. Sein Gesicht hatte sich im Verlauf des Abends rot verfärbt, er pochte mehrmals mit dem Bierglas auf den Tisch, legte dann, mit einem ernsten, fast heroischen Gesichtsausdruck, den Kopf zurück und trank das Glas leer.
Ach ihr Deutschen, rief ein Franzose vom anderen Ende des Tisches herüber, ihr wollt nie was hergeben. Am liebsten hättet ihr auch euren Kaiser Wilhelm nicht hergegeben, ihr hängt doch immer noch an ihm.
Aber la grande nation!, rief der Deutsche und fügte etwas in einem Gemisch aus Deutsch und Französisch hinzu, das niemand verstand, und vermutlich war es auch besser so.
Stumpf und trunken hackte die kleine Gesellschaft aufeinander ein. Luise bestellte einen Rotwein und stieß mit sich selbst auf die Runde an. Es war gut, eine Konkurrenz zu haben, die sich beständig um sich drehte. Es ging darum, zu überleben, und Luise wusste, dass man dabei am besten unauffällig blieb und sich den Gegebenheiten fügte. Man musste sich in das Spiel hineinwerfen, anstatt ängstlich an seinem Abgrund zu stehen.
Aber was heißt das für uns, fragte ein junger Franzose. Soll man nun schnell aus diesem Land raus oder soll man bleiben?
Das weißt du nicht?, fragte einer der Belgier belustigt. Dann hoffe ich, dass deine Firma es weiß. Wenn ihr keinen Plan habt, wie mit China umzugehen ist, dann seid ihr weg, schneller als du glaubst, nicht nur aus China. Also wenn ihr das nicht wisst –
Kennt ihr noch den alten Sowjetwitz?, unterbrach ihn sein Kollege. Die Russen landen auf dem Mond und malen ihn rot an. Was machen die Amerikaner? Sie schicken zwei Astronauten hinterher und lassen mit weißer Farbe Coca-Cola daraufschreiben.
Die Amis haben doch gar kein Geld mehr für so viel Farbe, warf Luises Nachbar ein.
Und was machen die Chinesen?
Die Chinesen bauen den Mond nach, malen ihn rot an, schreiben Coca-Cola drauf und verkaufen ihn zum halben Preis.
Einige Belgier lachten, ein Franzose orderte die Rechnung.
Draußen hing die Luft stickig und dumpf in den Straßen. Während die kleine Gruppe über eine Prachtstraße lief, unterhielten sie sich über die europäische Krise, die natürlich ihre jeweilige Firma nicht im Geringsten tangierte.
Man müsse Europa als Familie verstehen, erklärte Mademoiselle Poinette vehement. In einer Familie halte man zusammen.
In einer Familie betrügt man aber auch nicht, wandte Keuner ein.
Betrug? Was meinen Sie damit? Ich wüsste nichts von einem Betrug. Ich sehe nur, dass jemand seine Angelegenheiten nicht so geregelt bekommt, wie er es sollte. In einer Familie hält man zusammen, auch in schlechten Zeiten, beharrte Mademoiselle.
Luise ging zwischen ihnen, ohne etwas zu sagen. Der Vergleich war natürlich unsinnig, so naiv konnte niemand sein. Familien hielten nur zusammen, wenn sie keine andere Wahl hatten. Es gab Eltern, die ihre Kinder enterbten,es gab Kinder, die sich mit ihren Geschwistern noch um den letzten Löffel aus dem Tafelsilber stritten. Es gab Erbschaftskriege, es gab Intrigen, es gab schwarze Schafe und verlorene Söhne. Wenn Europa eine Familie war, dann gute Nacht.
»Wir müssen handeln.«
Vor einem Jahr übernahm Luise Tietjen die Geschäftsführung des Frotteeunternehmens Tietjen und Söhne. Einen ersten Coup konnte sie bereits landen: Ihre Firma wird exklusiver Zulieferer von Bloomingdale’s New York.
Linkes Bild: Erfahrung, frischer Wind und ihre Liebe zur Familientradition. Luise Tietjen im Gespräch mit der Rheinischen Post. Rechtes Bild: Schweres Erbe. Ihr Vater Kurt Tietjen im Landgericht Essen.
RP: Frau Tietjen, Sie sind mit siebenundzwanzig Jahren die jüngste Geschäftsführerin auf dem deutschen Textilmarkt. Fühlen Sie sich der Aufgabe gewachsen?
Tietjen: Ich bin mit dem Geschäft aufgewachsen, habe das Handwerk von der Krippe auf gelernt. Ich habe mich schon immer für die Abläufe in unserer Firma interessiert. Natürlich hätten wir problemlos eine andere Person für den Posten gewinnen können. Fakt aber ist, dass die jetzige Besetzung für das Unternehmen ideal ist. Wir wollen, dass unsere Produkte wieder für eine junge Zielgruppe attraktiv werden, dafür ist es wichtig, dass auch die
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