Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
den dumpf-blau schimmernden Gleisen, wurden aber automatisch langsamer, als ich erkennen musste, dass der Weg vor mir verlassen war. Das Echo meiner eigenen Schritte hallte wie spöttisches Gelächter zu mir zurück und jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich war umgeben von Schatten und Korridoren, die sich in der Schwärze verloren. Tucker konnte sich überall verstecken.
Links von mir raschelte etwas, und ich umfasste den langen Metallgriff der Taschenlampe, als wäre es eine Waffe. Das Geräusch kam von der Reihe der provisorischen Duschen weiter unten an einem gefliesten Gang. Als ich auf Zehenspitzen weiterschlich, hörte ich Seans Stimme aus dem Wagen mit den medizinischen Materialien, der etwa sechs Meter von mir entfernt war, und ich entspannte mich. Sollte ich in Schwierigkeiten geraten, würde er mich hören.
Ich zog einen Vorhang aus Müllbeuteln zur Seite, aber niemand stand auf dem nassen Fliesenboden. Tropf, tropf, tropf , hörte ich es stetig und ohrenbetäubend am Eingang. Die Duschbeutel mit ihren Sprühvorsätzen hingen leer an Haken an der Wand. Inzwischen starrte ich schon so lange in die Finsternis, dass ich Gestalten zu sehen begann. Dinge hörte, die nicht da waren – Knarren, Stöhnen, Flüstern .
»Daran gewöhnt man sich.«
Ich wirbelte herum, schwang bereits drohend die Taschenlampe und sah, wie Truck an die Wand zurückstolperte. Überraschung zeichnete sich in seinem schlichten Gesicht ab.
»Was?« Ich bückte mich, stützte die Hände auf die Knie und rang um Atem.
»Die Dunkelheit«, sagte er und fing an zu lachen. »Nach einer Weile gewöhnt man sich daran.« Er beugte sich zu mir und flüsterte: »Hab dich rumschleichen gesehen. Dir geht das ziemlich schnell an die Nieren, was?«
Sein blondes Haar schimmerte im Licht der Taschenlampe. Ihn hatte ich gesehen, nicht Tucker. Ich schüttelte den Kopf, um einen klaren Gedanken zu fassen.
»Schätze schon«, sagte ich.
Er begleitete mich zur Krankenstation und zu Sean, der auf einem Holzhocker in dem Waggon saß und sich mit Jack und dem Sanitäter unterhielt, den ich zuvor schon gesehen hatte, ein derber Bursche mit einer kahlen Stelle am Hinterkopf.
Von Tucker war keine Spur zu sehen.
Argwöhnisch trat ich ein. Ich erinnerte mich gut, wie Jack mich angesehen hatte, als ich ihm einen Baseballschläger auf die Kehle gepresst hatte.
»Jetzt sind wir wohl alle Freunde, was?«, bemerkte ich.
»Kein Sinn für Humor«, kommentierte Jack auf der anderen Seite des Waggons und grinste leutselig. Mir jedoch sprang das breite rote Mal an seinem Hals ins Auge. »Männer vergeben und vergessen, aber Mädchen können das nicht.«
»Gib mir einen Schläger, dann frische ich deine Erinnerung auf«, gab ich zurück.
»Ooh!« Truck gab mir fünf, eine Geste, die ich zögernd erwiderte. Hier, unter der aufgeladenen Laterne, war unverkennbar, dass sein linkes Auge von dem Kampf geschwollen war. Er saß neben einem Karton, auf den jemand das Wort Morfin in falschem Deutsch gekritzelt hatte. Der Sanitäter lachte, als Truck spielerisch den schmollenden Jack von seinem Thron schubste.
»Seid still!«, brüllte Sean und schlug mit der Hand gegen die Wand. Ich erstarrte. »Der Bericht kann nicht stimmen. Euer Informant hat Mist gebaut«, sagte er.
»Der Plan«, erkannte ich seufzend. »Sie ist nicht da.« Wir hatten die falsche Stadt erwischt. Ich hasste mich dafür, je geglaubt zu haben, Tucker Morris könnte die Wahrheit gesagt haben.
»Er irrt sich nie …« , setzte der Sanitäter an.
»Er irrt sich«, fiel ihm Sean ins Wort. Schatten der Fassungslosigkeit lagen unter seinen Augen.
»Wenn du es nicht wissen willst, warum bist du dann hergekommen?«, fragte Jack.
»Was ist hier los?«, ging ich dazwischen. »Ist Rebecca in der Resozialisierungsanstalt oder nicht?«
»Die gute Neuigkeit lautet, sie ist dort«, erklärte Truck. »Die schlechte, das ist keine Resozialisierungsanstalt.«
»Was?«
»Es ist ein medizinisches Rehazentrum«, klärte mich der Sanitäter auf. »Angeschlossen an das Krankenhaus. Wir gehen da nie hin – nicht, weil es da zu viele Soldaten gäbe oder so was. Da gibt es nur eine Notmannschaft Uniformierter. Das Personal besteht hauptsächlich aus Ärzten und Schwestern. Aber es … bringt Unglück.«
»Was soll das heißen?« Langsam spürte ich, wie die kalten Finger der Panik über meinen Rücken wanderten.
»Das ist ein Zirkus«, sagte Truck. Mags hatte das bereits einmal erwähnt, aber in Trucks Ton
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