Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
Metallisches glitt über den Boden. Er legte es in seine Hand. Ein winziger Kreis in der Weite seiner schwieligen Handfläche. Silbern, geflochten, verbunden durch einen einzelnen schwarzen Stein, so dunkel wie Chase’ Augen.
Der Ehering seiner Mutter.
»Vielleicht solltest du deinen Ring gegen den hier austauschen«, schlug er mir vor. Dabei klang seine Stimme, sosehr er sich auch um einen beiläufigen Ton bemühte, irgendwie brüchig.
Ich schluckte, doch in meiner Kehle hatte sich ein fester Kloß gebildet, den ich einfach nicht hinunterwürgen konnte. Nervös drehte ich den Ring, den er in der Lofton-Ranch gestohlen hatte. Ich hatte ihn zur Tarnung getragen – in den Statuten fand sich auch etwas über unverheiratete Mädchen, die sich in männlicher Gesellschaft draußen zeigten. Anrüchig , sagten die MM . Skandalös . Wie Nagellack, Haartönung und all die anderen Schmuggelwaren, die gemäß Artikel 2 als unmoralisch eingestuft waren. Aber wenn ich den Ehering von Chase’ Mutter trüge, dann würde es dabei nicht allein um meine Sicherheit gehen. Täte ich das, gäbe es dafür auch noch andere Gründe.
Zwei Erinnerungen trafen aufeinander. Eine, nur ein kurzes Aufblitzen, zeigte mir, wie Chase’ Eltern sich küssten. Damals war ich noch so jung gewesen, dass ich kreischend davongelaufen war, aber auch alt genug, mich zu fragen, wie das wohl sein mochte.
Die andere zeigte mir mich in der Schlange beim Pfandleiher, als ich gerade den Verlobungsring meiner Mutter versetzen wollte.
Wir hatten beide unsere Familien verloren. Und wir konnten, genau wie sie, jeden Moment sterben. Im Grunde war unsere Zeit längst abgelaufen. Was, wenn er gefangen genommen wurde? Exekutiert? Was, wenn er einfach verschwand?
Ich richtete mich auf und schaute überallhin, nur nicht zu ihm, während ich mir mit dem Handballen den verspannten Brustkorb rieb.
»Nicht, dass das irgendeine Bedeutung hat. Eigentlich.« Er kratzte sich mit einem trockenen Kichern am Kopf, aber seine Augen waren dunkel, der Blick brütend.
Meine Hand fiel herab.
»Nicht?«
Etwas zu sorglos zuckte er mit den Schultern.
»Wir sind nicht mal mehr Bürger dieses Landes. Das ist nicht so, wie es für meine Eltern war. Ich will damit nur sagen, es wäre nicht echt, das ist alles.« Wieder lachte er. »Vergiss, dass ich irgendetwas gesagt habe.«
Aber ich wollte nicht vergessen. Ein tiefer Schmerz erfüllte mich, eine Sehnsucht nach mehr. Nach einer Zukunft, einer Zukunft mit ihm, einer Zukunft, die wie ein Wunder in der Ferne glänzte.
Ich hielt ihn auf, ehe er den Ring in die Tasche stecken konnte. Mir war egal, ob die MM mich als Bürgerin nicht anerkannte oder ob sie unsere Beziehung nicht akzeptierte. Wir hatten einander, jetzt, und solange wir das wussten, war das alles, was wirklich zählte.
Ich griff nach seiner Faust, die sich um den Ring seiner Mutter geschlossen hatte, und führte sie an meine Lippen. Sanft küsste ich die Innenseite seines Handgelenks, und ich hörte, wie sein Atem schneller ging.
»Fühlt sich das echt an?«
Er nickte.
»Wen interessiert dann, was die denken?«
Ein warmes, erleichtertes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.
»Eines Tages«, versprach ich.
Aber statt noch etwas zu sagen, setzte er eine neutrale Miene auf und steckte den Ring in die Tasche. Für einen Moment fühlte ich mich gedemütigt, doch dann erkannte ich, dass sein Blick aus zusammengezogenen Augen etwas hinter mir fixierte.
»Da ist gerade jemand aufgetaucht«, informierte er mich leise.
Ich wirbelte zum Fenster herum und duckte mich, als ich eine schattenhafte Gestalt erblickte. War gerade jemand in das Zimmer gekommen? Oder war diese Person schon die ganze Zeit dort gewesen?
»Sean?«, flüsterte ich.
»Zu klein.«
»Zu klein für einen Mann?«, hakte ich nach. Er antwortete nicht.
Mein Herz donnerte in der Brust. In diesem Moment wusste ich, dass sie dort war. Ich konnte sie fühlen, gerade ein paar Meter von mir entfernt. Nur noch ein paar Sekunden, dann würde ich sie zurückbekommen.
»Wir gehen rüber.«
Er konnte mir nicht widersprechen, denn nun hatte auch er das dringende Bedürfnis, herauszufinden, was nebenan vorging.
»Ich kann das Schloss in der Hintertür knacken«, sagte er.
»Von mir aus kannst du einen Stein durch das verdammte Fenster schmeißen«, entgegnete ich, und er machte mir umgehend klar, dass ich leiser sprechen sollte. »Ich gehe da rüber, jetzt .«
Er legte mir beruhigend eine Hand auf den
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