Gesetz der Rache: Roman (Artikel 5, Band 2) (German Edition)
neben mir und half mir, mich auf den staubigen Linoleumbelag zu setzen. Kaum saß ich, ließ er von mir ab und wich zurück. Ich wollte nicht, dass er ging. Ich wollte ihn bei mir haben. Beth musterte ihn vorwurfsvoll und ging neben mir in die Knie.
»Du wirst dich doch nicht übergeben?«
Das hatte ich gestern während des Feuers vor dem Wayland Inn getan. Da hatte mir niemand Einhalt geboten, so wie Beth es jetzt tat.
Ich schüttelte den Kopf.
»Beth, was tust du?«, fragte ich.
»Was meinst du?«
»Das hier«, entgegnete ich und breitete die Arme aus. »Mein Haus. Der Name meiner Mutter. Mitten in der Nacht!«
»Leise!«, mahnte Stephen erneut.
Beth atmete hastig ein. »Okay, das ist ein bisschen kompliziert, also hör zu. Es gibt etwas, das man ein sicheres Haus nennt«, erklärte sie und sprach den Begriff so langsam aus, als würde sie mir etwas vollkommen Neues erzählen. »Und Leute, die in Schwierigkeiten sind, gehen dorthin, aber vorher müssen sie an anderen Orten warten, den Checkpoints , bis …«
»Ich weiß, was ein Checkpoint ist!«, brüllte ich.
»Ihr alarmiert die ganze Nachbarschaft.« Stephens Schritte klapperten über den Boden, als er nach nebenan marschierte. Ich folgte ihm mit den Augen und überlegte, was dieser Kerl sich einbildete, so in meinem Haus herumzuwandern.
»Wirklich?« Beth strich sich das Haar hinter die Ohren. »Hat man dir das in der Schwesternschule erzählt?« Sie zeigte auf meine Bluse.
»Ich bin keine Schwester«, informierte ich sie und schlug die Hände vor das Gesicht. »Das ist nur eine Tarnung, genau wie Chase’ Uniform.«
Sie nagte an ihrer Lippe. »Vielleicht brauche ich auch eine Tarnung.«
Ich ächzte. »Das ist kein Spaß.«
»Natürlich nicht.« Sie sah gekränkt aus. »Ich helfe hier Menschen. Ich habe Mrs Crowley von gegenüber geholfen. Die MM wollte sie holen, und ich habe ihr gesagt, sie soll sich hier verstecken, und seitdem haben sich noch vier andere Leute hier versteckt. Leute, die wir kennen, Ember. Und jetzt werden sie nicht mehr verhaftet werden können.« Sie schniefte leise und wischte sich die Augen trocken.
Ich kam mir vor, als hätte ich einen Hieb in die Magengrube bekommen.
Beth war verstummt und wartete auf eine Antwort, und ich sprach das Einzige aus, was mir in den Sinn kommen wollte.
»Mom ist tot, Beth.«
Dann schloss ich die Augen, ohne noch einen Gedanken daran zu vergeuden, dass wir in meinem Haus waren oder dass draußen Streifenwagen patrouillierten oder dass Beths Geschrei vermutlich die halbe Stadt auf meine Anwesenheit aufmerksam gemacht hatte. Ich war das alles so leid. Das ständige Davonlaufen, das Herumschleichen und all die grausamen Spielchen in dieser Welt.
»Das hat Harmonys Bruder auch gesagt. Ich …« Sie schniefte wieder. »Ich habe wirklich gehofft, es wäre nicht wahr.« Ihr Blick wanderte zu Chase. »Hat er davon gewusst?«
Chase kauerte zu meinen Füßen und beobachtete mich. Nicht ein Mal wandte er sich ab, um jemand anderen anzusehen. Das Licht reichte gerade für eine Reflexion in seinen Augen.
»Er weiß es«, erwiderte ich mit schwacher Stimme. »Woher hat Harmonys Bruder es gewusst?« Harmony, unsere Schulfreundin, nahm langsam in meinem Geist Gestalt an. Langes, dunkles Haar, mandelförmige Augen. Geistesabwesend fragte ich mich, ob sie immer noch mit Marcus Woodford liiert war.
»Er ist letztes Thanksgiving eingetreten, weißt du noch?«
»Ich weiß es noch. Spielt er für beide Seiten?« Ich dachte an Marco und Polo.
Sie zwirbelte eine lange Haarsträhne um den Finger. »Gewissermaßen. Er darf nicht mit Harmony sprechen, ist das nicht irre? Anscheinend kann er aber mit mir reden, ohne die Regeln zu brechen. Jedenfalls ist er mir eines Abends nach Hause gefolgt und wollte wissen, was es von seiner Familie Neues gibt. Ich habe ihm gesagt, ich würde es ihm erzählen, wenn er mir verrät, was sie mit euch gemacht haben.«
»Du musst verrückt sein«, kommentierte ich.
»Hat dir der Bruder deiner Freundin gesagt, du sollst hier einen Checkpoint einrichten?«, wechselte Chase das Thema.
Sie stierte ihn immer noch wütend an.
»Von dem lasse ich mir nichts befehlen«, gab sie starrsinnig zurück. »Wenn überhaupt, dann ist das Gegenteil der Fall. Wenn er etwas über seine Familie erfahren will, muss er mir helfen.«
Mir kam der Gedanke, dass Beth womöglich gar nicht wusste, wie sehr sie mit dem Feuer spielte. Wenn Harmonys Bruder es irgendwann mal leid wäre, sich von ihr
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