Gesetze der Lust
Sache.“ Seine Stimme klang bitterernst. „Wegen der Akte in Ihren Händen …“
„Ja?“
„Sie gehörte mir.“
„Was gehörte …“
„ Au revoir , Suzanne.“
Bevor Suzanne noch eine weitere Frage stellen konnte, drehte Kingsley sich auf dem Absatz um und ging die Treppen hinauf.
Suzanne schaute ihm hinterher, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war.
Den Ordner fest an die Brust gedrückt, folgte Suzanne der Fahrerin zurück zum Rolls-Royce.
„Lassen Sie nur“, sagte Suzanne kurz entschlossen. „Ich laufe.“
Die Chauffeurin schaute sie nur kurz an, bevor sie sich verbeugte und ins Haus zurückkehrte.
Suzanne ging die Straße hinunter, bis sie fand, was sie suchte – eine Bank unter einer Straßenlaterne.
Sie öffnete Nora Sutherlins Krankenakte und fing an zu lesen. Eine Stunde später wusste sie, was Kingsley gemeint hatte, als er sagte, „Sie gehörte mir.“
19. KAPITEL
Wesley fuhr so lange durch die Nacht, bis er die Augen nicht mehr offen halten konnte und anhalten musste. Dank seiner zwei Jahre auf der Yorke hatte er überall in Maryland und Maine Freunde. Er übernachtete bei einem ehemaligen Mitbewohner und nahm mit ihm zusammen ein kurzes Frühstück ein, bevor er den Weg nach Connecticut fortsetzte. Am späten Nachmittag erreichte er Westport. Seit beinahe vierundzwanzig Stunden lief er auf purem Adrenalin, mit dem Wunsch, Nora von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Während er fuhr, hallten zwei Wörter wie ein melodischer Refrain durch seinen Kopf.
Viele Wasser … viele Wasser … viele Wasser …
Zurück in der Stadt, die er einst sein Zuhause genannt hatte, fuhr er langsamer und fragte sich, was genau er tun, was er sagen würde, wenn er sie endlich wiedersah. Sein ganzer Körper kribbelte vor Nervosität, als er in Noras ruhige Straße einbog, in der die New Yorker Pendler wohnten, die ihre semiberühmte Erotikautorin als Nachbarin tolerierten, wenn auch mit etwas Misstrauen. Als er vor ihrem Haus anhielt – nein, Noras Haus, berichtigte Wesley sich, es war nicht mehr ihr gemeinsames Haus –, bekam er kaum noch Luft. Er konnte ihr Auto nirgendwo entdecken, und das Herz wurde ihm schwer. Er wollte sie doch nur ansehen, ihr in die Augen schauen.
Er ging zur Haustür und klopfte. Als er keine Antwort erhielt, klopfte er lauter. Dann steckte er die Hände in die Hosentaschen und suchte die Schlüssel.
Seine Schlüssel …
Wesley zog den Schlüsselbund heraus und betrachtete ihn. Bestimmt hatte Nora nach seinem Auszug die Schlösser ausgetauscht. Oder nicht?
Er fand den Schlüssel, den er einst seinen Hausschlüssel genannt hatte, und steckte ihn ins Schloss. Nach einer kurzen Pause, um Atem zu holen, drehte er ihn um.
Die Tür öffnete sich, als wäre nie etwas gewesen. Als wenndiese dreizehnmonatige Hölle ohne Nora nur ein Traum gewesen wäre, den er gehabt hatte, als er beim Lesen in der Bibliothek der Uni eingeschlafen war – und nun, wo er aufgewacht war, konnte er einfach wieder nach Hause gehen.
Wesley betrat das Wohnzimmer und atmete die abgestandene Luft ein. Das Haus roch verlassen, als wenn seit Monaten niemand mehr hier gewesen wäre. Nirgendwo lag Post herum. War es zwischen ihr und Griffin Fiske so ernst, dass sie einen Nachsendeantrag gestellt hatte? Griffin Fiske – New Yorks berüchtigter Playboy mit der schlechten Vergangenheit … und doch würde Wesley lieber herausfinden, dass Nora mit ihm zusammen war als mit Søren. Er kannte Griffin zwar nicht und würde ihn auch sicher nicht mögen. Aber Søren … Søren hasste er.
Während Wesley durch das Haus wanderte, stiegen Erinnerungen in ihm auf. Erinnerungen, von denen er dachte, sie begraben zu haben. Doch mit jedem Schritt wurden sie deutlicher.
Er hatte es geliebt, auf der Couch im Wohnzimmer zu lernen. Nora musste durchs Wohnzimmer hindurch, wenn sie in die Küche wollte – ihr Lieblingsziel im Haus. Und sie berührte ihn jedes Mal, wenn sie an ihm vorbeikam. Vielleicht war es nur ein kleiner Stupser gegen die Stirn, ein Kniff in die Nase, ein Tätscheln seines Knies oder sein Favorit – ein Kuss auf die Wange …
Die Bücherregale müssten mal wieder abgestaubt werden. Nora hatte die großen braunen und mit seltsamen Ornamenten verzierten Regale auf einem Flohmarkt gefunden.
„Ich glaube, diese Bücherregale gehörten einst Druiden“, hatte sie gesagt und war mit ihrer kleinen Hand über die Schnitzereien gefahren.
„Ich glaube, die Druiden lebten, bevor es Bücherregale
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