Gesetze der Lust
folgte Father S. aus der Kirche zu einem grauen RollsRoyce, der am Straßenrand wartete. Nachdem sie eingestiegen waren und der Wagen sich in Bewegung gesetzt hatte, hatte Father S. aus dem Fenster gestarrt.
„Was muss ich tun, wenn ich sie treffe?“, hatte Michael gefragt.
„Du wirst sie Ma’am oder Herrin nennen. Und du wirst alles tun, was sie dir sagt.“
Michael hatte unter diesen Worten gezittert wie ein Haus im Sturm.
„Werde ich … ich meine, was wird …“
„Sie wird dir deine Jungfräulichkeit nehmen, Michael. Wenn du es willst.“
Michael hatte genickt und aus dem Fenster geschaut. Es war ihm vorgekommen, als stehe der Wagen und die Straßen bewegten sich.
„Ja, das will ich.“
Und jetzt war er in diesem unglaublichen Herrenhaus in Upstate New York mit Nora Sutherlin höchstpersönlich. Gott, das war so surreal. Was zum Teufel tue ich hier, fragte er sich, während er das Buch in die Schublade seines Nachttisches legte. Dieses Haus roch nach Reichtum und Macht und altem Geld. Und er war nur ein siebzehnjähriger Niemand, der nichts vorzuweisen hatte.
„Wenn ich dir befehlen würde zu lächeln, würdest du es tun?“, fragte eine Stimme von der Tür.
Michael schaute auf und sah, dass Nora mit vor der Brust verschränkten Armen und ihrem üblichen Grinsen im Türrahmen stand und ihn beobachtete.
„Ja, Ma’am“, sagte er und versuchte, für sie zu lächeln. Sie betrat das Zimmer und ging auf ihn zu. Sie nahm seine beiden Hände in ihre, hob die Handgelenke an ihre Lippen und küsste sanft seine Narben.
Nun konnte er lächeln.
„Er hat mein Leben gerettet, wusstest du das?“, fragte Michael. „Also Father S. meine ich.“
Nora ließ ihn los und setzte sich auf die Fensterbank des großen Erkerfensters.
„Hat er?“
Michael nickte. „Nicht nur in der Nacht, als er mich gefunden hat. Dass er mir von sich erzählt hat, von dir … das hat mehr geholfen als alles andere.“
„Hat er dir je erzählt, wie er meinen Arsch gerettet hat?“, fragte Nora und schlug ihre schlanken Beine übereinander.
„Nein.“
„Nun, er versucht, meinen Ruf so rein wie möglich zu halten. Eine Herkulesarbeit, das kann ich dir verraten. Kurz, nachdem ich Søren kennengelernt habe, bin ich in Schwierigkeiten geraten. Beinahe wäre ich in den Jugendknast gewandert:“
Die Nachricht schien Michael zu erschrecken. „Warum?“
„Meine Mom dachte, sie hätte einen Mechaniker geheiratet.“ Nora lehnte sich gegen die Wand. „Ein netter Ehemann aus der Arbeiterklasse für das Mädchen aus der großen, armen, deutschen, katholischen Familie. Aber er war kein Mechaniker, sondern der Besitzer einer illegalen Autowerkstatt mit Verbindungen zur Mafia.“
„Heilige Scheiße. Dein Dad war bei der Mafia?“
Nora zuckte mit den Schultern. „Nicht wirklich. Er hatte nur Verbindungen. War immer wieder im Gefängnis. Schuldete immer irgendjemandem Geld, dem man lieber keines schulden sollte. Mom versuchte, mich von ihm fernzuhalten, aber es ist schwer, einem Papakind beizubringen, dass es Nein sagen soll, wenn der Daddy anruft und um Hilfe bittet. Lass es mich so sagen, ich war etwas zu gut im Familienbusiness.“
„Du bist doch wohl nicht verhaftet worden, weil du ein Auto gestohlen hast?“
Nora hob eine Hand und spreizte alle fünf Finger.
„Fünf Autos?“, fragte Michael entsetzt.
„Beim fünften haben sie mich erwischt. Ich hatte an dem Abend eine Glückssträhne. Niemand rechnete damit, dass ein fünfzehnjähriges Mädchen, das in seiner katholischen Schuluniform durch Manhattan stromert, es auf ihren Porsche abgesehen hatte. Ich sah so unschuldig aus. Es war die perfekte Tarnung.“
„Unschuldig? Du?“
Nora schaute ihn einen Moment an, bevor sie eine ausdruckslose Miene aufsetzte. Dann riss sie die Augen ein wenig auf, klimperte mit den Wimpern und biss sich wie ein nervöses Kind aufdie Unterlippe. Mit einem Mal sah sie aus wie ein Teenie – süß und leicht verängstigt.
„Verdammt“, stöhnte Michael.
„Oh ja.“ Ihr Gesichtsausdruck wurde wieder normal. „Ich kann auch unschuldig aussehen. Diese Miene hat bei allen funktioniert – Mom, Dad, die Polizei … bei jedem außer bei Søren. Er durchschaut alles sofort.“
„Das ist mir auch schon aufgefallen.“
„Ich saß auf dem Polizeirevier im Verhörraum. Fünfzehn Jahre alt, und der Priester, den ich zuvor erst zwei Mal getroffen hatte, kommt rein, schließt meine Handschellen auf – und zwar, wie ich später erfahren
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