Gesetze der Lust
anderes Computerzubehör sah. Kein Drucker, keine Kabel, kein Router. Auf seinem Tisch lagen nur ein Montblancfüller und hochwertiges Schreibpapier. Father Stearns war vielleicht ein Technikgegner. Das würde auch seine mangelnde Internetpräsenz erklären.
Langsam öffnete sie die Schreibtischschublade und verspürte eine leichte Enttäuschung, als sie nur noch mehr Stifte und Papier fand. Die paar Mappen, die darin lagen, enthielten nichts Interessantes – nur Terminpläne und in untadeliger männlicher Handschrift geschriebene Bibelverse. Die andere Schreibtischschublade bot auch keine schockierenden Enthüllungen. In der untersten Schublade fand sie ein Dutzend weiterer Montblancfüller, alle noch originalverpackt. Kurz fragte sie sich, ob Father Stearns eine Art Füllerfetisch hatte. Dann fiel ihr auf, dass an den meisten Verpackungen kleine Grußkarten hingen – Geschenkanhängervon Gläubigen, die ihm ihre Zuneigung und Bewunderung ausdrückten. Das erinnerte Suzanne an ihre Freundin Emilie, eine Vorschullehrerin an einer Privatschule. Jedes Jahr zu Weihnachten bedachten die Eltern der Kinder sie mit allen möglichen Apple-Produkten für Lehrer. Offensichtlich hatten die Mitglieder der Sacred Heart von der Vorliebe ihres Priesters für qualitativ hochwertige Schreibwaren gehört und überschütteten ihn deshalb jedes Jahr aufs Neue damit.
Sie segnen uns Jahr für Jahr, Father. Die Harpers , stand auf einem Anhänger.
Danke, dass Sie unsere Ehe gerettet haben, Father. Gott segne Sie, Alex und Rachel , auf einem anderen.
Ist es eine Sünde, einem Priester ein kombiniertes Geburtstagsund Weihnachtsgeschenk zu geben? Wenn ja, dann reden wir während der Beichte darüber. Fröhlichen Geburtstag, Dr. und Mrs Keighley , stand auf einem Kärtchen, das an einer Schatulle hing, die ein Set aus Füller und Kugelschreiber von Montblanc enthielt.
Ein kombiniertes Geburtstags- und Weihnachtsgeschenk? Der Satz bewies Suzanne, dass sie richtig gelegen hatte. Father Marcus Lennox Stearns, geboren am 21. Dezember 1965, war tatsächlich der Sohn von Marcus Augustus Stearns, dem englischen Baron, der nach New Hampshire gezogen und reich geheiratet hatte. Erstaunlich. Ihr Zielobjekt hatte also wirklich für die katholische Kirche einen britischen Adelstitel aufgegeben. Unglaublich. Nicht nur hatte er den Reichtum seiner Mutter und den Titel seines Vaters hinter sich gelassen, er hatte für die Kirche auch den Frauen abgeschworen. Die meisten Priester, die sie kennengelernt hatte, hatten zu der Sorte gehört, die sowieso zu einem Leben als Jungfrau verdammt gewesen wären. Humorlos, unattraktiv, sozial unbeholfen … in allem das genaue Gegenteil von Father Stearns.
Suzanne schüttelte den Kopf und zog als Letztes eine rote Box hervor. Sie klappte die Karte auf.
Mein anderes Geschenk wird nicht in eine Boxpassen. AABYE ,stand da in einer Sprache, von der sie annahm, dass es sich um Deutsch handelte.
Mein Gott, mit wie vielen Sprachen würde sie es heute Abend denn noch zu tun bekommen? Sie verdrehte frustriert die Augen, zog ihr Notizbuch heraus und schrieb die Worte ab. Aus irgendeinem Grund sagte ihr das letzte Wort etwas. AABYE. Sie überlegte, was genau ihr daran so bekannt vorkam, es wollte ihr aber nicht einfallen. Nachdem sie ihr Notizbuch wieder in die Handtasche gesteckt hatte, ließ sie den Strahl der Taschenlampe noch ein letztes Mal über den Schreibtisch gleiten.
Und dieses Mal weckte etwas ihr Interesse. Ein Foto. Sie schaute es lange an. Eine junge Frau von ungefähr siebzehn oder achtzehn Jahren, die Father Stearns erstaunlich ähnlich sah – hellblondes Haar, graue Augen, ungemein attraktiv. Suzanne löste das Bild aus dem Rahmen und drehte es um. Jeg elsker dig, Onkel Søren. Kom og besøg snart, Laila , stand darauf. Wieder diese skandinavischen Buchstaben. Suzanne öffnete noch einmal ihr Notizbuch und kopierte jedes Wort. Kurz fragte sie sich, ob es sich bei dem Mädchen um Father Stearns’ Tochter handelte. War er in den Jahren als Priester irgendwann Vater geworden? Könnte das der Grund für das anonyme Fax und die geheimnisvolle Fußnote „Möglicher Interessenkonflikt“ sein?“
Eher unwahrscheinlich. Sie bezweifelte, dass jemand, der so intelligent und gebildet war wie Father Stearns, ein Foto von seiner unehelichen Tochter auf dem Schreibtisch stehen hätte. Frustriert schüttelte sie den Kopf. Sie hatte auf Antworten gehofft, doch stattdessen nur noch mehr Fragen aufgeworfen.
So leise
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