Gesichter der Nacht
genügend
Rücklagen. Aber wenn irgend etwas schiefgeht…« Er
zuckte die Achseln und sprach den Satz nicht zu Ende.
Mac erhob sich seufzend. »Das heißt ja
wohl, daß wir uns keine Fehler leisten können«,
bemerkte er.
In diesem Moment hörte man, wie draußen ein
Wagen vorfuhr. Als das Geräusch des Motors verstummte, trat
Marlowe ans Fenster und blickte auf den Hof. Ein grüner Jaguar
stand vor dem Haus. Die Wagentür öffnete sich, und eine
schlanke, knabenhafte Gestalt stieg anmutig aus dem Auto. »Was
will die denn hier?« sagte Maria leise hinter Marlowes Schulter.
Es war Jenny O'Connor.
6
Die Türglocke läutete, und sie blickten einander an.
Nach ein paar Sekunden meinte Marlowe: »Es wäre eine gute
Idee, wenn jemand das Mädchen reinlassen würde.«
»Maria!« sagte Papa Magellan in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Mach auf.«
Maria ging, ohne ein Wort zu erwidern. Sie hörten
gedämpfte Stimmen in der Diele, und dann stand Jenny O'Connor
zögernd in der Tür. Maria blickte über die Schulter des
Mädchens hinweg, einen feindseligen Ausdruck im Gesicht.
»Sie möchte mit Hugh sprechen«, sagte sie.
Jenny O'Connor schüttelte lächelnd den Kopf.
»Nein, gehen Sie bitte nicht aus dem Zimmer. Was ich zu sagen
habe, betrifft Sie alle.«
Sie trug einen maßgeschneiderten Rock und eine
braune Wildlederjacke, und an den schlanken Beinen hatte sie
Nylonstrümpfe. Marlowe spürte wieder dies Kribbeln in der
Magengrube und bekam erneut einen trockenen Mund – wie bei ihrer
ersten Begegnung. Er schluckte und fragte: »Weshalb wollten Sie
mit mir sprechen, Miß O'Connor?«
Sie errötete vor Betretenheit und schlug die
Augen nieder. Einen Moment lang schien sie um Worte verlegen, und Papa
Magellan nahm sie mit altmodischer, südländischer
Höflichkeit beim Arm und führte sie zu einem Sessel.
»Nehmen Sie Platz, meine Liebe«, sagte er. »Sie haben
hier keine Feinde.«
Maria schnaubte vor Wut und
verschränkte die Arme. Ihre Lippen waren so fest
aufeinandergepreßt, als sei dies das einzige Mittel, ihren Zorn
im Zaum zu halten. Jenny O'Connor lächelte sie an. »Bitte,
Miß Magellan, verurteilen Sie mich nicht, bevor Sie mich
angehört haben.«
Schweigen senkte sich über den Raum. Alle
warteten darauf, daß Jenny O'Connor weitersprach. Das Reden
schien ihr jetzt noch schwerer zu fallen, aber dann sprudelten die
Worte plötzlich wie ein Wasserfall aus ihr heraus. »Ich
weiß schon, Mr. O'Connor ist mein Onkel, und es macht sicher
einen sehr merkwürdigen Eindruck, daß ich hierher komme,
aber ich kann nicht einfach danebenstehen und tatenlos zusehen, wie es
immer weitergeht mit diesen Problemen und mit dieser
Gewalttätigkeit.«
Maria gab einen ungeduldigen Laut von sich, und
Marlowe erkundigte sich freundlich: »Und was sollen wir Ihrer
Meinung nach dagegen unternehmen, Miß O'Connor?«
Sie blickte auf, und in ihren Augen stand ein tiefer
Kummer. »Mr. Magellan muß sein Geschäft
verkaufen«, sagte sie schlicht.
Einen Moment lang herrschte verblüfftes
Schweigen. Dann warf Maria den Kopf zurück und lachte.
»Deswegen sind Sie also hierher gekommen?« sagte sie.
»Wofür halten Sie uns eigentlich – für
Schwachköpfe?«
Papa Magellan wandte sich erbost seiner Tochter zu.
»Maria, wenn du nicht still sein kannst, mußt du aus dem
Zimmer gehen.« Sie blickte ihn ein, zwei Sekunden trotzig an.
Dann drehte sie sich um, stürzte aus dem Raum und schlug die
Tür hinter sich zu. Magellan heftete die Augen auf Jenny und
neigte den Kopf. »Tut mir leid, Miß O'Connor. Sie
müssen das meiner Tochter bitte nachsehen. Maria hat sich wegen
dieser Sache viel Sorgen gemacht in letzter Zeit.«
»Warum soll Mr. Magellan gerade jetzt verkaufen?« fragte Marlowe. Er musterte Jenny.
»Weil mein Onkel ihn kaputtmacht,
wenn er's nicht tut«, erwiderte Jenny. »Kennedy ist vor
einer Stunde zurückgekommen. Als mein Onkel gehört hat, was
Sie angestellt haben, war er wütend. Rasend vor Zorn. So
aufgebracht habe ich ihn noch nie erlebt.« »Hat er Sie
hergeschickt?« wollte Marlowe wissen.
Jenny schüttelte mit einem traurigen Lächeln
den Kopf. »Mr. Marlowe, mein Onkel hat sehr starre Vorstellungen
von dem Platz, an den eine Frau gehört. Er duldet es
grundsätzlich nicht, daß ich mich in seine
Geschäftsangelegenheiten einmische. Ich fahre gern Auto, und er
ist mir so weit entgegengekommen, daß er mich hin und wieder
einen seiner Lastwagen
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