Gesichter der Nacht
»Okay, Mann. Wie du willst.«
Maria war in der Küche. Sie sah müde und
blaß aus und lächelte Mac matt an. »Tut mir furchtbar
leid, diese Geschichte«, sagte er.
Sie lächelte erneut. »Machen Sie sich nur
keine Vorwürfe. Wir wissen, daß es nicht Ihre Schuld
war.«
»Kann ich Ihren Vater sprechen?« fragte der Jamaikaner.
Maria seufzte. »Ja, aber er ist wirklich krank.
Der Arzt war da und hat ihn untersucht. Er glaubt, daß Papa die
Grippe kriegt. Jedenfalls hat er erhöhte Temperatur.«
Sie führte die beiden Männer
nach oben und öffnete behutsam die Tür zum Schlafzimmer des
alten Mannes. Er sah zehn Jahre älter aus, und seine Wangen waren
eingefallen. Seine tiefen Atemzüge deuteten darauf hin, daß
er schlief.
Maria schloß leise die Tür, und sie gingen
wieder nach unten. »Er sieht gar nicht gut aus«, bemerkte
Mac.
»Es war einfach zuviel auf einmal«, sagte
Maria. »Und er steht vor dem Ruin. Es ist ein Wunder, daß
er noch lebt.«
Sie tat Marlowe unaussprechlich leid. Sie senkte den
Kopf, stützte sich auf den Tisch, schluchzte. Marlowe legte ihr
den Arm um die Taille. »Du mußt dich beruhigen, mein Engel.
Das ist doch nicht deine Art. Kopf hoch. Mac und ich machen heute abend
die Runde bei den Gärtnereien. Wir kriegen bestimmt noch eine
Ladung zusammen, vielleicht auch zwei. Und morgen abend versuchen wir's
noch mal mit der Fahrt nach London.«
Maria lächelte und wischte sich mit dem
Handrücken eine Träne von der Wange. »Ja, Hugh, du hast
recht. Ich führe mich hier nur albern auf, und das hilft
überhaupt nichts.« Sie drückte ihm die Hand. »Du
bist so nett zu mir – ihr seid beide so nett zu mir.« Sie
lächelte wieder. »Ihr kriegt auch gleich was zu
essen.«
An diesem Abend machten sich Marlowe und Mac mit einem
der Lastwagen auf den Weg nach Barford. Es war kurz nach sieben, und
der Himmel begann zu dunkeln. Auf der Fahrt durch die Stadt mied
Marlowe den Platz, und als Mac ihm auf die Schulter tippte, bog er mit
dem Lastwagen auf ein Stück unbebautes Gelände und stellte
den Motor ab.
Es war jetzt ziemlich dunkel, und die
Straßenlampen, die in Richtung Barford führten, glichen
gelben Perlen an einer Schnur. Die Garage lag dreihundert Meter weiter
an der Straße, und als Marlowe und Mac sich ihr näherten,
setzte ein feiner Regen ein.
Sie waren knapp fünfzig Meter von
der Garage entfernt, da blieb Marlowe stehen und sagte: »Auf dem
Weg gehen wir nicht näher ran. Weiß der Teufel, wer uns
beobachtet. Versuchen wir, uns von hinten anzuschleichen.«
Sie bogen in eine schmale Gasse, die von einer
einzigen altmodischen Gaslaterne beleuchtet wurde, und stolperten
über das unebene Pflaster. Vierzig Meter weiter machte die Gasse
einen scharfen Knick nach rechts. Und nun führte sie an der
Hinterseite der Garage entlang. Die Ziegelmauer davor war alt und nicht
sehr stabil und an die zwei Meter achtzig hoch. Mac faltete die
Hände, und Marlowe benutzte sie als Trittstufe und kletterte auf
die Mauer. Dann streckte er die rechte Hand aus und zog den Jamaikaner
hoch. Eine Weile saßen sie auf der Mauerkrone und orientierten
sich. Dann sprangen sie in den Hof.
Eine alte Feuerleiter führte ins zweite
Geschoß, und Marlowe ging behutsam voran. Auf dem Absatz blieben
sie stehen. Marlowe langte nach dem Türknauf. Die Tür war
abgeschlossen. Er zögerte einen Moment. Dann streckte sich Mac
nach dem Schiebefenster neben der Tür. Einen Augenblick
später gab er ein zufriedenes Brummen von sich. »Es ist
offen«, sagte er. Ein leises Quietschen war zu hören, als er
den Rahmen hob, und dann stieg er übers Geländer der
Feuerleiter und kletterte durchs Fenster in das Gebäude. Marlowe
folgte ihm.
Sie standen in der Dunkelheit und lauschten, und
Marlowe bemerkte einen eigenartigen Geruch. Er runzelte die Stirn,
schnupperte… Und nun war ihm alles klar. Er zog Mac zu sich.
»Whisky«, sagte er. »Riechst du's?«
Mac nickte und ging vorsichtig über den Korridor
voraus. An seinem Ende befand sich eine Tür mit geborstener
Füllung, durch die Licht fiel. Mac öffnete sie behutsam, und
Whiskygeruch schlug ihnen entgegen.
Überall im Raum standen Lattenkisten mit
Flaschen, und in einem Winkel im Hintergrund waren etliche Fässer
zu sehen. Marlowe klopfte gegen eines. »Voll«, sagte er. Er
ging zu einem Tisch in der Nähe und griff sich ein paar Etiketten.
»Schau dir das mal an«, sagte er. »Alles bekannte
Marken.«
»Was
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