Gesichter der Nacht
wir bis sechs zurück.«
Es regnete heftig in den nächsten
Stunden, und als sie auf das unbebaute Stück Land in der Nähe
der Garage bogen und neben ihrem eigenen Lastwagen hielten, ging es auf
sieben zu.
Marlowe kletterte in den Laderaum und entdeckte,
daß sich Kennedy von seinem Knebel befreit hatte. Als er sich
herunterbeugte, um ihm die Handfesseln abzunehmen, sagte Kennedy:
»Ihr kommt nicht ungeschoren davon, das kannst du mir
glauben.«
Marlowe zog ihn auf die Beine und beförderte ihn
über die Ladeklappe nach draußen. »Was willst du denn
machen?« höhnte er. »Zur Polizei rennen und ihr sagen,
daß dir eine Ladung gepanschter Whisky geklaut worden ist? Die
fände das zwar sicher sehr interessant, aber…«
Kennedy fiel ihm ins Wort. »Um Gottes willen,
Marlowe, was soll ich tun?« Er weinte fast. »Wenn ich jetzt
zu O'Connor gehe – der bringt mich um.«
Er schien dem Zusammenbruch nahe. Marlowe betrachtete
ihn, und in ihm regte sich so etwas wie Mitleid. »Wenn du auch
nur einen Funken Verstand hast, gehst du nicht zu O'Connor«,
sagte er. »Sondern du haust ab von hier, so schnell du
kannst.« Er zog das Geldpaket aus der Tasche und nahm zehn
Fünfer heraus. »Hier sind fünfzig Pfund«, sagte
er und gab Kennedy die Scheine. »In einer Stunde geht ein D-Zug
nach London.«
Marlowe ignorierte die gemurmelten Dankesworte, stieg
ins Fahrerhaus ihres Lasters und setzte sich neben Mac, der sich schon
hinters Steuer geklemmt und den Motor angelassen hatte. »Das war
verdammt anständig von dir, Mann«, sagte er, als sie
losrollten.
Marlowe zuckte die Achseln. »Schwachköpfe
wie Kennedy kann man einfach nichts allein machen lassen.« Er
legte den Kopf zurück, schloß die Augen und unterband so
jeden weiteren Gesprächsversuch.
Eine halbe Stunde später fuhren sie
auf den Hof. Maria lief gerade auf die Scheune zu. Als Marlowe auf den
Boden sprang, kam sie zu ihm gerannt. »Wo seid ihr
gewesen?« wollte sie wissen. »Ich habe mir solche Sorgen
gemacht.«
Er beantwortete ihre Frage mit einer Gegenfrage. »Wie geht es deinem Vater?«
»Viel, viel besser«, sagte Maria.
»Er sitzt im Bett und erkundigt sich nach dir. Ich wußte
nicht, was ich ihm sagen soll.«
Sie ging voraus, und die beiden Männer folgten
ihr die Treppe hinauf, zum Zimmer des alten Mannes. Papa Magellan
saß im Bett, einen dicken Wollschal um den Hals. Er hatte ein
Frühstückstablett vor sich. Als Marlowe in der Tür
erschien, trat ein Leuchten in sein Gesicht. »Hugh, wo waren Sie,
mein Junge? Was haben Sie gemacht?«
»Mir sagen sie nichts«, kommentierte Maria.
Mac lehnte sich gegen die Tür, und Marlowe
knöpfte seine Jacke auf und zog das Paket mit den
Fünf-Pfund-Noten heraus. »Jetzt haben Sie keine Probleme
mehr, Papa«, sagte er und warf das Paket aufs Bett. »Da
drin sind zweitausend Pfund.«
Maria hielt den Atem an, faßte sich an die Kehle
und wurde leichenblaß. »Hugh, was hast du
angestellt?« fragte sie bang.
Der alte Mann war völlig verwirrt. »Wo kommt das Geld her?«
Marlowe zuckte die Achseln. »Von O'Connor. Wir
haben entdeckt, daß er mit verschnittenem Whisky handelt. Vorige
Nacht haben wir eine Ladung in Liverpool abgeliefert. Der Kunde war nur
daran interessiert, den Whisky zu kriegen. Er hat uns anstandslos das
Geld gegeben.« Marlowe grinste. »Tja, und jetzt haben
Sie's, Papa. Und keine Probleme mehr.«
Die Miene des alten Mannes war streng. Er sagte zu
seiner Tochter: »Maria, hol mir eins von den großen
Packpapierkuverts aus der Schublade da drüben.«
Maria zog die Schublade auf und reichte
ihrem Vater stumm den Umschlag. »Und jetzt gib mir noch meinen
Füller und ein paar Briefmarken«, sagte Papa Magellan.
Marlowe beobachtete schweigend, wie der alte Mann vierundzwanzig
Banknoten aus dem Paket nahm und zur Seite legte. »Hundertzwanzig
Pfund«, sagte er. »Das hätte diese Fuhre vermutlich in
London eingebracht.«
Marlowe war perplex. »Sie meinen, Sie wollen den
Rest an O'Connor zurückschicken?!« rief er. »Das ist
doch völlig verrückt!«
Papa Magellan schüttelte den Kopf. »Nein,
das ist völlig vernünftig. Das ist schmutziges, auf
unredliche Weise erworbenes Geld. Ich habe mir nur genommen, was
O'Connor mir schuldet. Nicht mehr und nicht weniger.« Er
adressierte den Umschlag und machte ihn zu. Als er die Briefmarken
aufgeklebt hatte, hielt er Marlowe das Kuvert entgegen. »Ich
will, daß Sie das in den
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