Gesichter der Nacht
Traum. Als sie auf der
Hauptstraße waren, die aus Barford herausführte, gab Marlowe
Gas, bis die Tachonadel bei achtzig Meilen stand. »Was für
ein herrlicher Wagen«, sagte er.
Jenny lächelte. »Ja, der beste, den es gibt. Hast du dir nie einen solchen Wagen gewünscht?«
Einen Augenblick war er kurz davor, ihr von seiner
Vergangenheit zu erzählen. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da
hatte er einen Wagen wie diesen gefahren. Da hatte er Geld und
schöne Kleider und Frauen gehabt. Alles, was ein Mann sich nur
wünschen konnte… Aber er erzählte ihr nichts davon. Er
erzählte es ihr nicht, weil er plötzlich erkannte, daß
diese Dinge ihre Bedeutung verloren hatten. Ein Auto war ein Auto, es
hatte einen Motor und vier Räder und trug einen von Ort zu Ort.
War es wirklich so wichtig, eines zu haben, das zweitausend Pfund
kostete?
Marlowe fluchte stumm. Wenn er in diesem Sinn
weiterdachte, würde er sich und Jenny den Abend verderben. Er
verbot sich solche Überlegungen und fuhr auf den Parkplatz des
Hotels an der Straße, bei dem sie jetzt angelangt waren. Als sie
auf den Eingang zuliefen, zwang er sich zur Konzentration: Er wollte
den Abend genießen.
Um elf brachte er den Jaguar auf dem Hof vor Jenny
O'Connors Wohnung zum Stehen und stellte den Motor ab. Einen Moment
lang saßen sie schweigend da, und dann sagte sie: »Es hat
mir wirklich Spaß gemacht. Du tanzt ungewöhnlich gut
für einen Mann von deiner Größe.«
Er zuckte die Achseln. »Das liegt bloß an deinen Martinis.«
Sie lachte leise. »Kommst du noch mit rein auf
einen Schlummertrunk?« Sie legte ihre warme Hand auf seinen Arm,
und in ihm regte sich etwas. Warum nicht? Er öffnete die
Wagentür, wollte aussteigen.
Eine Faust schoß auf sein Gesicht zu, und aus
irgendeinem unerklärlichen Reflex heraus duckte er sich, so
daß der Schlag nur leicht seine Wange berührte. Er
stieß die Tür ganz auf, und sie prallte mit dumpfem Laut
gegen einen Körper. Marlowe stürzte sich in die Dunkelheit.
Kalter Zorn wallte in ihm auf.
Jemand stellte ihm ein Bein, und er fiel
auf das Kopfsteinpflaster, nahm instinktiv die Hände vors Gesicht
und rollte sich seitlich ab, um den Tritten auszuweichen. Einer traf
ihn in die Seite, ein zweiter streifte sein Gesicht, und dann war er
wieder auf den Beinen. Jenny O'Connor hatte kein einziges Mal
geschrien. Einen Augenblick hatte er den furchtbaren Verdacht,
daß sie ein falsches Spiel mit ihm trieb und dann ging ihre
Wohnungstür auf. Licht flutete in goldenem Strahl über den
Hof.
»Komm rein, Hugh! Komm rein!« rief Jenny.
Das Licht fiel auf Blacky Monaghan und seine beiden
Freunde. Einer von ihnen hielt eine Eisenstange gefaßt, und er
stürmte plötzlich los und holte weit damit aus, um Marlowe am
Kopf zu treffen. Marlowe duckte sich, und die Stange knallte gegen die
Mauer hinter ihm. Er nahm Schwung und trat dem Mann mit voller Wucht
zwischen die Beine. Die Stange landete scheppernd auf dem
Kopfsteinpflaster, und der Mann stieß einen furchtbaren,
erstickten Schrei aus und ging zu Boden.
Monaghan stand ein Stück seitab und fuhr sich mit
der Hand über die Stirn. Seiner Stimme nach zu schließen,
hatte er reichlich viel getrunken. »Das hilft dir auch nichts, du
alter Drecksack«, knurrte er. Er richtete das Wort an seinen
anderen Freund, ohne den Blick von Marlowe zu wenden. »Nimm ihn
dir vor, Paddy. Schlitz ihn auf.«
Paddy zog die Hand aus der rechten Jackentasche und
klappte langsam ein altmodisches Rasiermesser mit Fischbeingriff auf.
Er bewegte sich auf Marlowe zu, die Hand mit dem Rasiermesser
ausgestreckt. Marlowe wartete, bis er nur noch einen knappen Meter von
ihm entfernt war. Dann ging er auf die Knie, hob die Eisenstange auf,
die der erste Angreifer hatte fallenlassen, und ließ sie mit
ungeheurer Gewalt auf Paddys rechten Arm niedersausen. Der Knochen
knackte wie ein trockener Zweig. Paddy sank mit schmerzverzerrtem
Gesicht auf das Pflaster und wurde ohnmächtig.
Als Marlowe aufstehen wollte, rauschte
Monaghan auf ihn zu und versetzte ihm einen Tritt in die Seite. Marlowe
verlor das Gleichgewicht und fiel nach hinten, gegen die Mauer. Der Ire
hob blitzschnell den Fuß, um in das ungeschützte Gesicht zu
stampfen. Marlowe packte den Fuß und drehte ihn um. Monaghan fiel
mit seinem vollen Gewicht auf Marlowe. Eine Weile rollten sie
übers Kopfsteinpflaster, versuchten, einander zu würgen, und
dann, als sie an die Mauer gegenüber krachten, gewann Marlowe
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