Gesichter der Nacht
auf. »Wir sind
gleich da«, sagte Marlowe. »Unser Freund Kennedy hat aus
dieser alten Kiste wirklich das letzte rausgeholt.«
»Was machen wir jetzt?« fragte Mac.
Marlowe zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Das müssen wir uns noch überlegen.«
Etwa fünfzehn Minuten später bogen sie in
eine ruhige, dunkle Straße und hielten an. Es herrschte
vollkommene Stille, und in einiger Entfernung konnte Marlowe das
unheimliche, traurige Tuten der Schiffe auf dem Mersey hören.
Zunächst rührte sich nichts. Dann
öffnete sich die Tür des Fahrerhauses und Kennedy sprang
heraus. Marlowe und Mac lauschten auf seine Schritte. Dann kletterte er
über die Ladeklappe und leuchtete mit einer Taschenlampe nach
drinnen. Marlowe nahm sie ihm aus der Hand und richtete den Lichtstrahl
auf ihn. »Hallo, Kennedy!« sagte er. »Wo man sich
überall trifft – verrückt, wie?«
Eine fast komische Bestürzung malte
sich in Kennedys Gesicht, und er machte den Mund auf, um zu schreien.
Mac landete eine schöne gerade Linke in seinem Magen, und Kennedy
klappte zusammen und rang nach Luft. Marlowe stopfte ihm ein Taschen
tuch in den Mund und fesselte ihm die Hände mit seinem
Gürtel. Dann zerrten sie mehrere Kisten vom hinteren Teil des
Stapels nach vorn und schoben Kennedy in den frei gewordenen Raum.
Sie waren gerade aus dem Laster gestiegen, da
näherten sich zwei Lieferwagen aus der Dunkelheit und stoppten in
ein paar Metern Entfernung. Vier Männer kamen auf sie zu, und
Marlowe lehnte sich gegen die Ladeklappe, die Fäuste geballt
für den Fall, daß es Ärger gab.
Ein kleinwüchsiger Mann mit dem Aussehen eines
Vogels blieb vor ihm stehen und zündete sich eine Zigarette an.
»Ich bin Sid Brown«, sagte er. »Seid ihr die Jungs
von O'Connor?«
»Das ist richtig«, antwortete Marlowe.
»Wir haben den Stoff im Wagen – keine einzige Flasche
kaputt.«
Sid Brown nickte. »Ihr seid neu, oder? Ich hab' euch noch nie gesehen.«
Marlowe nickte. »Ja. Wir haben eben erst bei O'Connor angefangen.«
Sid legte einen Finger gegen den rechten
Nasenflügel. »Ein guter Mann«, sagte er. »Ich
meine – O'Connor. Sehr schlau. Bei dem seid ihr gut
aufgehoben.«
Die drei Helfer von Sid Brown luden die Kisten aus dem
Laster mit unglaublicher Schnelligkeit in die beiden Lieferwagen um.
»Lang wollen wir hier nicht bleiben«, sagte Sid. »Die
Bullen sind einfach zu scharf auf Leute wie mich.«
»Was ist mit dem Geld?« fragte Marlowe.
»Wenn wir's schon eilig haben, dann hätte ich es gern
sofort.«
Sid grinste. »Ach ja, der Kies – klar.
Hätte ich fast vergessen.« Er zog ein Päckchen aus der
Tasche und gab es Marlowe. »Alles in Fünfern«, sagte
er. »Und sie sind nicht heiß.«
Marlowe riß das Paket auf und nahm
das Geld im Licht von Kennedys Taschenlampe in Augenschein. Es waren
genau zweitausend Pfund. »Mensch, bist du penibel«, sagte
Sid Brown be leidigt. »Ich hab's nicht mit Tricks. Ich zahle
gutes Geld für gute Ware. Das hab' ich immer schon gemacht, und
dabei bleib' ich auch. Nur so kriegst du einen guten Ruf.«
Als seine Männer die letzten Kisten aus dem
Laster hoben, sagte einer von ihnen: »He, was ist das
denn?«
Sid trat an die Ladeklappe und beleuchtete mit einer
starken Taschenlampe Kennedys reglose Gestalt. »Was geht hier
vor?« wollte er wissen. »Wer ist das?«
Marlowe klopfte ihm grinsend auf die Schulter.
»Da mach dir nur keine Gedanken, Sid«, sagte er. »Das
ist mein Cousin Charlie. Der fährt gern so in der Gegend
rum.«
Beim ersten Anzeichen von Besorgnis war Mac
stillschweigend im Dunkel verschwunden, und nun sprang der Motor an.
Marlowe drehte sich rasch um, stieg ins Fahrerhaus. Er schlug die
Tür zu und lehnte sich aus dem Fenster. »War nett, mit dir
Geschäfte zu machen, Sid. Wir sehen uns bald wieder.«
Der Lastwagen fuhr in die Nacht hinein. Sid und seine Helfer blieben verdutzt zurück.
Mac lachte dermaßen, daß er Mühe
hatte, das Lenkrad zu halten. »Mann, da wird O'Connor aber der
Unterkiefer runterfallen, wie? Zweitausend Pfund. Das heißt, wir
haben keine Probleme mehr.«
»Und er kann nicht zur Polizei gehen, sonst
fliegt sein ganzer Laden auf«, sagte Marlowe. Er lehnte sich
zurück und steckte sich eine Zigarette an. »Ja, ich
würde meinen, wir haben gute Arbeit geleistet.«
Er schaute auf seine Uhr. Es war kurz vor eins.
»Wir lösen uns beim Fahren ab«, sagte er. »Wenn
wir Glück haben, sind
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