Gesichter im Nebel (German Edition)
einem kecken Schnäuzer unter der Nase. Eigentlich nichts Besonderes, doch sein Gesicht und seine dunkel glänzenden Augen prägten sich ihr aus einem unerfindlichen Grund ein. Sie wusste nicht zu sagen warum. Er gefiel ihr. Sehr. Doch sogleich wischte sie den Gedanken wieder beiseite. Eine Zufallsbegegnung wie so viele im Leben. Sie hatte noch anderes vor sich.
Doch der Mann in einem leichten Pullover, eine olivgrüne Öljacke über dem Arm, blieb wie gebannt stehen, drehte sich nach ihr um und starrte ihr entgeistert und mit fast offenem Mund nach.
Ihr Anblick hatte anscheinend gesessen.
Dann folgte er der jungen Schönheit zögernd und voll Bewunderung, wie von einer inneren Eingebung getrieben, in angemessenem Abstand. Mehr traute er sich nicht.
Sie schlenderte an der Universität vorbei, steuerte zielstrebig weiter und verschwand im Pub „O’Donohogue’s“, dessen Bedeutung er nicht kannte, nicht kennen konnte, denn er stammte nicht aus Dublin. Er war zum ersten Mal in seinem Leben hier und von dem vielen Verkehr und dem Lärm der großen Stadt ohnehin etwas verwirrt.
Kein Wunder, er kam von einer kleinen Insel am Rande des Atlantiks und dort war die Welt eine andere. Lediglich der Name O’Donohogue war ihm vertraut, lebte doch auf seinem kleinen, Sturm umtobten Eiland eine Sippe gleichen Namens, mit der seine Familie seit alters her nicht gerade die besten Beziehungen pflegte. Er hieß Patrick O’Driscoll, war 25 Jahre alt und stammte von Cape Clear. Seine pechschwarzen Haare ließen auf fremdes Blut in seiner Hunderte von Jahren alten Ahnenreihe schließen. Er war ein großer, gut aussehender Bursche mit beträchtlichen Körperkräften. Bislang hatte er sich kaum Gedanken über seine Zukunft gemacht. Es kam eben alles, wie es kommen musste. Da hatte er den stoischen Lebensmut der meisten Insulaner. Als zweitältester Sohn von Nathaniel O’Driscoll war er eigentlich fest in den Tagesablauf der kleinen Landwirtschaft und der Fischerei eingebunden. Da er als zuverlässig galt, oblagen ihm auch die nötigen Fahrten zum Mainland. Er war noch unbeweibt, keine der Inselgrazien vermochte es bislang, ihn aus der Reserve zu locken, auch wenn seine junge Sexualität manchmal unüberhörbar nach einer Frau verlangte.
So war er erst versucht, Brighid spontan ins Innere dieses Lokals zu folgen, doch dann zögerte er und blieb noch eine Weile unschlüssig stehen. Schließlich wandte er sich um und ging den Weg zurück. Mit Frauengeschichten hatte er keine Übung, war eher scheu und wäre sicherlich auch sehr unbeholfen, ja vielleicht tölpelhaft. Und bei so einem Wesen wüsste er gleich dreimal nicht, wie er ein Gespräch beginnen sollte. Die Inselmädchen, die er kannte, waren eher burschikos, körperliches Arbeiten von Kindsbeinen an ihr tägliches Brot. Das harte, einfache Leben auf der kargen Insel hatte sie so geformt. Sie waren nicht hässlich, nein, auch sie hatten ihren herzerfrischenden Charme, manchmal freche Stupsnasen und flatterndes Haar, lustige Sommersprossen auf der Nase, ein fröhliches und unbeschwertes, anziehendes Lachen im Gesicht, waren bodenständig und irgendwie unschuldig in ihrer Art, aber sie waren eben anders.
Diese Frau hier aber war für ihn der Inbegriff einer Dame. Eine sicherlich hochgestellte und gebildete Person, gesellschaftlich zu weit weg für einen einfachen Kleinbauernsohn und Fischer. Eine unerreichbare Göttin. An ihr würde sich jetzt manch andere Frau messen müssen.
Unglücklich seufzte er auf, während er zur Houston Station schritt. Nein, er musste es als Zufallsbegegnung abtun, wie so vieles im Dasein der Stadtmenschen, die Schritt auf Tritt solchen Märchenfeen begegneten, mit blonden, roten oder dunklen Haaren, mit Brüsten aller Formen und Größen. Ja, hinschauen und schon waren sie vorbei, verschwanden im Gewühl der Passanten und ließen in den gepeinigten Männerherzen nur unerfüllte, unausgegorene Träume und Fantasien zurück, das Gestöckel ihrer hohen Absätze noch im Ohr, ein Stakkato für die gequälte Seele.
Zum ersten Mal seit seinem Besuch in der großen Stadt wurde ihm fast bitter bewusst, wie viele solcher Schönheiten ihm hier über den Weg liefen, es war ein richtiges Spießrutenlaufen, für einen geschlechtsreifen, jungen Mann aus der Provinz allemal. Nur eine von ihnen wäre auf seiner Insel eine Sensation und die Jungs würden sich wahrscheinlich um sie prügeln.
Den unverhofften Besuch in Dublin hatte Patrick der Tatsache zu verdanken,
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