Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesichter im Nebel (German Edition)

Gesichter im Nebel (German Edition)

Titel: Gesichter im Nebel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Feyerabend
Vom Netzwerk:
dass der Ledermacher Neil in letzter Zeit mit irgendetwas so beschäftigt war, dass er seine anstehende Verkaufstour nicht antreten konnte. Also bat er seinen Schwurbruder Nathaniel darum, einen seiner Söhne in die Hauptstadt zu schicken und die fertigen Taschen und Gürtel, kleine Geldbörsen und Tabaksbeutel für Pfeifenraucher in den drei Geschäften abzuliefern, mit denen ein Vertrag bestand. Und so reiste schließlich Patrick mit der Fähre aufs Festland, mit dem Überlandbus weiter nach Cork und von dort mit einer Bimmelbahn an den Liffey.
    Patrick hatte das Geschäft erledigt und das Geld auf der „Allied Irish Bank“ eingezahlt, die auch eine Filiale in Skibereen betrieb. Bis zur Abfahrt seines Zuges hatte er noch Zeit. So kehrte er in der Nähe des Bahnhofs in einen Pub ein und genehmigte sich dort einen herzhaften Trunk. Eine Runde fröhlicher Zecher forderte ihn zum Dartspielen auf, ein Spiel, das er noch nicht kannte. Wie es der Teufel wollte: Das Anfängerglück stand ihm bei und er ging gleich mehrere Male und unter dem Beifall der Zufallsgenossen daraus als Sieger hervor. Das bedeutete allerdings auch, dass er einige zusätzliche Pints Guinness zu sich nehmen musste und deshalb beinahe seinen Zug verpasste. Dieser indes hatte, wie in diesem Lande und zu seiner Zeit so oft üblich, wieder einmal und zu seinem Glück Verspätung.
    Auch während der ratternden und rüttelnden Fahrt durch die grünen Wiesen Mittelirlands ging ihm die unbekannte Schöne nicht aus dem Sinn. Was für eine Frau! Er würde wohl ein Leben lang von ihr träumen. Er malte sich aus, wie es gewesen wäre, hätte er sich ein Herz gefasst und die Kneipe ebenfalls betreten.
    In seiner Vorstellung sprach er sie einfach an. „Hallo, du hast mich auf der Brücke verzaubert? Darf ich Dich zum Dank auf ein Pint einladen?“
    „Ich kenne dich doch gar nicht.“
    „Das macht doch nichts, trink ein Glas mit“, so hätte er vielleicht geantwortet, „dann lernst du mich kennen. Ich bin Patrick.“
    Aber er wusste auch, dass er sich diese lockere Anmache sicher nicht getraut hätte.
    Doch Träumen war schön. Hier konnte er selbst den Verlauf der Dinge bestimmen, hier kannte er keine Hemmungen oder gar alberne Schüchternheit. Und beschwipst, wie er war, dachte er die Begegnung mit seiner Fee auch zu Ende. Fast fühlte er ihre geschmeidigen Arme um seinen Hals, spürte ihren verlangenden Kuss.
    Es wäre zu schön gewesen.
    Das schrille Kreischen der Bremsen riss ihn aus seinen Fantasien in die Wirklichkeit zurück. Er war in Kent Station, Cork, angekommen und hatte von der langen Zugfahrt fast nichts gemerkt.
    An der zentralen Busstation, wo die Fahrzeuge nach Skibereen abfuhren, musste er wieder auf Anschluss warten. Also strebte er erst mal auf das gegenüberliegende Pub „Travellor’s Rest“ zu und bestellte sich ein Pint „Murphy’s“. Wie viele Caper war auch er ein trinkfester junger Mann.
    Fast teilnahmslos hörte er den üblichen Tresengesprächen zu. Doch halt – was hatte eben dieser grobschlächtige Kerl mit der karierten Mütze auf dem Kopf geäußert? Das war ja interessant! In Kinsale sollte wieder einmal ein Mann am Fuß der Kliffs mit zerschmetterten Gliedern aufgefunden worden sein. Natürlich war das, so flüsterten sich die Saufbrüder fast ehrfürchtig zu, ein Werk der „White Lady“ gewesen.
    Je nun, jetzt hatte er wenigstens etwas zu erzählen, wenn er nach Hause kam. Er wollte sich einen „Cork Examiner“ kaufen, vielleicht stand es auch schon in der Zeitung. Auf Cape war zwei- oder dreimal eine blöde Kuh über die Klippen gestürzt, wenn sie sich beim Grasen zu weit vorgewagt und das Gleichgewicht verloren hatte, aber ein Mensch, nein, so was hat es während seiner Lebzeit nicht gegeben. Patrick schüttelte sich bei dem Gedanken.
    Dann musste er sich auch schon sputen, der Bus kündete mit seinem Horn die Abfahrt an. Er griff sich noch eine Zeitung, dann quetschte er sich neben zwei Frauen, die einen Käfig mit Hühnern auf dem Schoß hatten, und los ging die Fahrt mit dem etwas altertümlichen Vehikel.
    Plötzlich, an einer kleinen Brücke stoppte das Fahrzeug, der Chauffeur stieg aus und verschwand in einer kleinen Kneipe. Geduldig warteten die anderen Fahrgäste. Patrick fragte eine der Nachbarinnen, was da los sei. Sie antwortete grinsend: „Er wird wohl Durst haben und ein oder zwei Pints trinken!“
    In Baltimore übernachtete Patrick in einem kleinen Boardinghaus. Am nächsten Morgen musste er

Weitere Kostenlose Bücher