Gesichter im Nebel (German Edition)
kochte. Von Fastnet Rock war nichts mehr zu sehen, der Felsen samt seinem Leuchtturm auf der Spitze war eingehüllt in hochaufspritzende Wolken von Salzschaum. An der Westküste von Cape donnerten die Brecher gegen die steilen Felsen, so dass buchstäblich das ganze Inselchen bebte. Der Schaum schob sich an einigen Hängen wie ein Teppich hoch. Sie sahen bereits aus wie ein Winterparadies, nur dass es kein Schnee war. Horizont und Himmel verschwammen in eins.
Und dann peitschten geradezu unerhörte Wassergüsse aus den jetzt milchig weißen Himmeln hernieder, ließen Straßen wie Bachläufe aussehen. Auch um Mittag herrschte eine bedrohlich wirkende, schier apokalyptische Finsternis. Sollte sich jemand draußen aufhalten, so musste er sich schräg gegen den Wind stemmen, um voranzukommen. Heftige Böen versetzten ihn trotzdem manchmal um Meter. Beim Öffnen des Mundes hatte er das Gefühl, als wolle ihn der Sturm wie einen Luftballon aufblasen. Sich mit jemand anderem zu verständigen, war unmöglich. Das gewaltige Brausen in den Ohren verschluckte jedes andere Geräusch.
Spätestens jetzt verging jedem Segel-Romantiker der Wunsch, sich aufs Wasser zu begeben. Nicht umsonst warnten einheimische Fischer davor, sich selbst bei gutem Wetter zwischen die Küste von Cape und den Fastnet-Rock zu wagen. Überraschende Fallböen konnten dieses Gewässer in Sekundenschnelle in einen kochenden Hexenkessel verwandeln.
Es war in der Tat ein Kuhsturm, der heuer das Eiland heimsuchte, in seiner Gewalt einem tropischen Hurrikan und dessen Zerstörungskraft vergleichbar. Zum Glück hatten die Caper Erfahrung mit solchen Gewalten und nagelten Steinplatten anstatt Ziegel auf ihre Dächer.
Der Sturm tobte den dritten Tag, als endlich das Tief weiter zum europäischen Kontinent zog, doch die See beruhigte sich noch gut zwei Tage lang nicht. Lediglich die Kämme der Wellen wurden niedriger und bildeten nun eine hohe Dünung. Die Eichenbalken konnten wieder an Land gehievt werden und die Fähre wurde zurück in das Hauptbecken bugsiert. Trotz der weiterhin erschwerten Bedingungen machte sie sich bereit zum Auslaufen. Einige Caper mussten dringend nach Baltimore, und Skipper Donhall wollte das Manöver wagen.
An der Spitze der Kaimauer befand sich ein drehbarer Poller. Um ihn wurde nun eine starke Trosse gelegt und mittschiffs festgemacht. So war gewährleistet, dass das Schiff wie an einem Zirkel um die Ecke geführt wurde, ohne an dem gegenüberliegenden Leitdamm entlang zu schrammen. Denn beim Anfahren hatte es noch nicht genügend Fahrt, um gegen den Strömungsdruck aus eigener Kraft anzukommen. Einige alte Männer versammelten sich, um das waghalsige Manöver kritisch zu begutachten.
Es gelang, elegant nahm die „Naomh Cirian“ die Kurve und stürzte sich todesmutig in die atlantischen Wellenberge. Mit voller Kraft voraus erklomm das Schiff die anrollende Wasserwand und surfte mit der mächtigen See davon. Geschafft. Die Gaffer murmelten beifällige Lobesworte.
„Ein guter Skipper, unser Donhall. Manch anderer hätte das nicht geschafft!“
„Ist ja auch ein Driscoll!“, vermerkte ein weiterer Zuschauer stolz. Er jedenfalls war gewiss kein O’Donohogue, denn in den kleinen Tagesfragen waren sich die beiden Sippen noch immer nicht grün. Lediglich wenn es ums gesamte Inselwohl ging, standen sie zusammen wie ein Mann.
Das Schiff lief ohne nennenswerte Vorfälle im Hafen von Baltimore ein. In dem kleinen Küstenort wartete schon seit zwei Tagen eine Reisegruppe aus Dublin ungeduldig auf seine Ankunft. Unter den jungen Leuten, ganz offensichtlich Studenten, befand sich eine auffallend hochgewachsene, blonde Frau: Brighid.
Die Reisenden waren zunächst herb enttäuscht gewesen, dass sie nicht sofort übersetzen konnten, aber das Wüten des Sturmes, der selbst das Hafenbecken in Baltimore wild aufpeitschte, überzeugte sie. Sie nisteten sich bei „Lister’s“ ein und harrten auf Schönwetter. Alles in allem, so redeten sie sich ein, passte dieser Orkan sogar ganz großartig zu der ihnen verheißenen, wilden Schönheit der Insel.
Die Zwangspause gestaltete sich zweifellos lustig, denn im Schankraum hielt sich noch eine Gruppe aus Frankreich auf, Vogelkundler, die ein paar der seltenen auf Cape nistenden oder dort beim Durchflug in den Felsen Station machenden, gefiederten Arten erleben und studieren wollten. Schnell kamen die Reisenden ins Gespräch, spielten Dart und tranken in ausgelassener Runde und gegen die
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