Gesichter im Nebel (German Edition)
empfindliche Kälte, die der Sturm mitgebracht hatte, den einen oder anderen „Rum with Black Current“. So verging die Zeit fast wie im Flug.
Einer der jungen Franzosen strich mehr als auffällig um die Schönheit aus Dublin herum. Es war Jean-Pierre Delavigne, der Sohn eines Universitätsprofessors an der Sorbonne in Paris. Die hochgewachsene Irin hatte es ihm ganz offensichtlich angetan. Sein Charme blieb auch bei ihr nicht ganz ohne Wirkung, seine augenscheinliche Intelligenz führt zu angenehmen und tiefer schürfenden Gesprächen. Er sprach für einen Franzosen ein ganz ordentliches Englisch, war witzig, geistreich und legte sein gallisches Feuer in seine Gesten, wenn er etwas erzählte.
Zweimal hat Brighid inzwischen mit ihrem Vater telefoniert und ihn über den Stand ihres Abenteuers informiert. Er erzählte ihr, dass der Orkan auch über Dublin gewütet und dort einige Bäume entwurzelt hatte. In Dun Laoghaire war sogar ein Segler in seinem untergehenden Boot ertrunken, und eine Eisenbahn war kurz vor der Einfahrt in den rettenden Bahnhof entgleist.
Aber hörte sie da richtig? Die Stimme des Vaters war etwas schleppend und unklar. Hatte er wohl wieder das Whisky-Trinken aufgenommen? Vertrug er die Einsamkeit nicht so gut, wie er ihr das glauben machen wollte? Sie machte sich Sorgen, wagte aber nicht, ihn darauf anzusprechen. Er war schließlich ein erwachsener Mann und als Vater eine Respektsperson.
Dann endlich war es soweit. Das Beladen der „Naomh Cirian“ war beendet, die Passagiere wurden herbeigerufen und ab ging die Post. Leinen los, das Schiffchen schwankte wie betrunken durch die Schärenwelt, kam endlich ins offene Fahrwasser und geigte nun mächtig in den Wellenbergen auf und ab. Jeder hörte die Seen kommen. Es war ein brausend zischendes Geräusch, als ob sie die Luft vor sich her pressten. Dann zogen sie schlürfend unter dem Kiel vorbei und bauten sich wie wütende Stiere wieder auf. Manchmal gab es einen Ruck im Schiff und der Skipper musste Ruder legen, um das Fahrzeug auf Kurs zu halten.
Das war beileibe nicht jedermanns Sache. Einige der Landratten zeigten bereits verdächtig grünliche Gesichter. Es würde nicht lange dauern, dann hatte sie die Seekrankheit mit all ihrem Elend im Griff. Skipper Donhall ließ sie vorsorglich unter Deck bringen. Es war ihm zu gefährlich. Wenn sie etwa an die Reling stürzen würden, während sie das unvermeidbare Opfer an die Götter des Meeres ausspieen, so dass ein jeder sehen konnte, was sie heute zum Frühstück zu sich genommen hatten. In diesem Zustand konnten sie allzu leicht über Bord gehen, Rettung war bei dem Seegang nicht möglich.
Ein Eimer in der Ecke der stickigen Kajüte musste es für ihre Nöte auch tun.
Brighid allerdings schien eine Naturbegabung an Seefestigkeit zu sein. Sie lachte sogar, wenn eine besonders grobe See die Fähre fast auf die Seite legte. Als sie schließlich den Vogelfelsen passiert hatten, brach überraschend für Minuten die Sonne durch. Jagende Wolkenfetzen warfen ihre huschenden Schatten auf das wild bewegte Wasser. Es herrschte noch immer ein kräftiger Wind.
Dann sah sie plötzlich, wie von einem Scheinwerfer angestrahlt, die Insel Clear vor sich. Majestätisch wie eine Trutzburg stand sie am Horizont, hielt seit vielen Tausend Jahren und über zahlreiche Generationen hinweg den wütenden Angriffen des Atlantischen Ozeans stand. Es war schlicht ein erhebender Anblick. Für Brighid war es ohne jeden Zweifel Liebe auf den ersten Blick.
„Herrgott aber auch!“ Der Skipper fluchte wie nichts Gutes. Gerade vor der Einsteuerung zur Einfahrt in den Nordhafen schob sich eine mächtige, dunkle Wolke über die Idylle. Ein paar wildgezackte Blitze zuckten über den Himmel, krachende Donnerschläge übertönten selbst das Tosen der Brandung und es begann, wie aus Kübeln zu schütten. Natürlich machte ihm ein solcher Guss nichts aus. Nur seine Passagiere waren nach dem Anlegemanöver gehalten, an Bord zu bleiben und bis zum Ende der Schauer auszuharren. Auch mit dem Ausladen seiner Fracht musste er noch warten, es würde sonst alles vor Nässe triefen und dem Postsack, den er regelmäßig vom Mainland mitbrachte, bekam das bestimmt nicht gut.
Brighid war an Deck gekrabbelt. Ungeachtet der Sturzfluten aus dem Himmel und in ein rotes Regencape gehüllt, starrte sie auf den Felseinschnitt, hinter dem der Hafen liegen musste, denn der Mann am Ruder hielt geradewegs darauf zu. Eine wirklich, eine
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