Gesichter im Nebel (German Edition)
gefehlt“, antwortete dieser, „ich wollte eigentlich die nächsten Tage nach Skibereen, ein Bankgeschäft erledigen. Aber daraus wird nun wohl längere Zeit nichts!“
Die aufziehende Wetterfront mit ihrem pechschwarzen Himmel hatte nun auch am Nordhafen etliche hektische Aktivitäten ausgelöst. Das Barometer an der Wand von „Cotter’s“ sank immer weiter in den Keller. Etwa zwanzig Männer bugsierten an den Festmacherleinen die kleine Fähre vom vorderen Hafenbecken in das kleine, dahinterliegende Bassin und sicherten sie an den Pollern doppelt.
Sodann begannen sie damit, mit einem kleinen handbetriebenen Drehkran schwere Eichenbalken in die Durchfahrt zwischen den beiden Becken zu wuchten. Dort fädelten sie das Holz in eine Art Futteral ein und schotteten so das hintere Bassin ab. Das hatte seinen triftigen Grund: Es würde nicht lange dauern, dann rollten mächtige, manchmal fünfzehn Meter hohe Seen am Flaschenhals der Hafeneinfahrt vorbei. Das tiefe Tal hinter den Wasserbergen saugte sodann das vordere Hafenbecken mit einem großen Schluck leer, bis der Grund des metertiefen Bassins fast trocken fiel. Ein hier vertäutes Schiff würde unsanft aufsetzen. Durch das Schott indes hielt das zweite Becken das Wasser. Lediglich an den Balkenstößen drangen einige Springbrünnlein durch. Einer der nächsten großen Roller spülte dann das Wasser wieder mit derselben Gewalt zurück, und zwar so heftig, dass die Gischt bis über den am Hang liegenden Pfad von „Cotter’s“ zu der auf der anderen Seite des Nordhafens liegenden Station für Vogelkundler zischte und alles mitreißen würde, was sich gerade dort befand. Wer also zur anderen Seite wollte, hielt sich sprungbereit. Wich das Wasser aus dem Becken, so spurtete er los und konnte gerade noch sein Ziel erreichen, bevor die See mit der Wucht einer Brandung zurückkehrte und mit einem infernalischen Schlürfen über den Weg flutete. Sie würde jeden Menschen beim Zurücklaufen mit sich in den unvermeidlichen, nassen Tod ziehen.
Die Macht der atlantischen Monsterwellen war ungeheuerlich. Nicht umsonst stand in den alten englischen Seekarten bereits bei tausend Meter Wassertiefe vor der irischen Küste und viele Seemeilen vom Land entfernt der warnende Vermerk: „Bei heftigen Stürmen brechende Seen.“ Die Wellenberge des Ozeans brandeten an diesen Stellen nach einer langen Reise über mehrere tausend Meter Tiefe auf den unterseeischen Shelfrand der irischen Insel. Und wehe dem Schiff, das von einem solchen brechenden Ungeheuer, einer Freakwave, einem Kaventsmann, einer sich überschlagenden Monstersee getroffen wurde! Die Wucht von Hunderttausenden von Tonnen fast senkrechter Wasserwände würde es gnadenlos in den Grund keulen.
Ein Schiff auf Cape jedenfalls würde im großen vorderen Becken zu Kleinholz zerhackt oder, war es aus Stahl, wie eine Konservendose zerdeppert. Da hatten die Caper Jahrhunderte alte Erfahrungen.
Die Aktion erfolgte keine Sekunde zu früh. Denn schon brüllte die erste, brettharte Bö daher, riss sogleich das anscheinend etwas altersschwache Dach eines Schuppens herunter und ließ es wie betrunken über eine Wiese torkeln. Nun schaute jeder, dass er nach Hause kam. Lose Gegenstände flogen wie Geschosse durch die Luft. Die noch brennenden Kaminfeuer in den Häusern lohten durch den in den Schloten entstehenden Unterdruck mächtig auf. Holz verbrannte in Sekundenschnelle. Es war besser, auf das Feuerchen für die Zeit des Sturms zu verzichten. Das erschreckende Heulen und Brüllen des mächtigen Orkans, das Wimmern, das gelegentliche Kreischen um die Häuserecken hörte von nun an nicht mehr auf. Das jagende Orkantief fraß sich fest. Die alten Frauen kauerten in ihren Stuben, einen Rosenkranz in den knotigen Fingern, und beteten, dass der Herr seine schützende Hand gnädig über die Insel halte. Und die Betschwestern erzählten mit erschauernder Stimme von einem vierzehn Tage anhaltenden Orkan, von dem fünfzehn ihrer Männer draußen beim Fischen überrascht wurden und auf See geblieben waren. Sollte ein Besucher fragen, wann denn dieser schreckliche Sturm gewütet hat, würde er zur Antwort erhalten: „Das muss so um 1850 gewesen sein!“ Und die Frauen schlugen schnell und ehrfürchtig das Kreuz.
Der Sturm nahm noch immer an Stärke zu. Gewaltige Kämme rollten an der Insel vorbei, ihre weißen Kappen wurden vom Wind abgeblasen und Schaumbälle flogen bis weit ins Inselinnere durch die Luft. Die See an den Klippen
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