Gesichter im Nebel (German Edition)
dieser Stelle bereits eine Kuh verloren und das sollte sich nicht wiederholen, denn so ein Tier war auf Cape etwas besonders Kostbares, jedenfalls solange es Milch gab.
Patrick, noch in gebückter Haltung an der Kaimauer, wischte sich gerade den Schweiß aus der Stirn, blickte hoch und schaute zu seiner Verwirrung geradewegs in die smaragdgrünen Augen seiner Traumfee.
Es sah aus, als treffe ihn der Schlag.
„Ich werd’ verrückt“, schoss es ihm durch den Sinn, „Das darf doch nicht wahr sein! Spinne ich? Wie um alles in der Welt kommt diese Frau ausgerechnet hierher? Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen. Und ich hatte mich gerade damit abgefunden, sie in meinem ganzen Leben nie wieder zu sehen! Ein schöner Traum, eine Zufallsbegegnung, mehr nicht. Und nun das!“
Sprachlos starrte er sie an. Aber auch sie war ziemlich überrascht und es fuhr ihr ganz spontan heraus: „Ich glaube, ich habe dich schon mal irgendwo gesehen. Ist es nicht so?“
„Ja“, stotterte er, „ja, ja, das ist schon so. Du gingst in Dublin in so einen Singing Pub. Ja, daran erinnere ich mich.“
„O’Donohogues’, wenn ich mich richtig besinne?“, hakte sie nach.
„Ja, so hieß das Lokal, glaube ich.“
Erst jetzt fiel ihr auf, dass er ihr ja nur auf der Brücke über den Liffey und zwar in entgegen gesetzter Richtung begegnet war. Er musste ihr also gefolgt sein, sonst hätte er das nicht gewusst. Na, so was!
Und merkwürdig, sie fand diese Tatsache plötzlich rasend interessant. Die einen hätten es schlicht als Zufall abgetan, andere als Fügung, ja als Schicksal gar beschworen. Es war nun mal, wie es war, sie waren sich tatsächlich zum zweiten Mal begegnet. So etwas geschah selten im Leben, stammten zwei Menschen zudem noch aus ganz verschiedenen und weit voneinander entfernten Regionen, wie es bei ihnen der Fall war.
Jean-Pierre, und nun zeigte sich bereits eine andere, weniger schöne Facette seines Charakters, war sichtlich ungehalten. Ärgerlich hatte er die für ihn völlig überraschende Unterbrechung seines Wortschwalls aufgenommen, sein Gesicht bedeckte bereits eine leichte, unwillige Röte. Es handelte sich ganz offensichtlich um die Eifersucht eines Mannes, der dominieren, besitzen will, es auch so gewohnt war und sich dabei unliebsam gestört fühlte. Sicher konnte er in so einer Situation sogar zornig werden und die Beherrschung verlieren. Jeder mit etwas Menschenkenntnis konnte ihm ansehen, was er dachte.
„Was will denn der dumme Bauernbursche? Soll sich doch um seinen Kram kümmern. Diese Frau hier, merk’ dir das, gehört mir!“
Er reagierte wie ein ungezogenes, verwöhntes Kind – sicher die Folge seiner Erziehung und seiner Herkunft aus einer gesellschaftlich hochstehenden Pariser Familie; einer elitären Denkweise, die schon mit der Muttermilch eingesogen worden war.
„Komm, lass dich nicht aufhalten“, zischte er mehr, als er es sagte, „wir gehen weiter zur Vogelstation. Ich will wissen, wie es da aussieht. Vielleicht ist die Bude ja ein bisschen typisch irisch verwanzt!“
Doch da hatte er nicht mit Brighid gerechnet. Sie schaute ihn fast erschrocken an. Dann meinte sie nur, deutlich reserviert: „Geh’ da mal alleine hin, ich bleibe hier. Ich möchte mir ansehen, wie das Schiff ablegt.“
„Gut, wenn du es unbedingt so haben willst. Ich warte nachher vorne an der Pier auf dich.“
Sagte es, machte sichtlich beleidigt auf dem Absatz kehrt und strebte mit ausholenden Schritten auf das kleine Bauwerk für die Ornithologen des Landes zu.
„Ist das dein Mann?“, fragte Patrick etwas verlegen.
„Gott behüte, nein! Er ist, wie ich, nur ein Tourist und kommt aus Frankreich. Wir alle mussten in Baltimore mehrere Tage warten, bis der Sturm aufhörte und wir endlich übersetzen konnten.“
„Aha“, war alles, was er antwortete.
Aber des ungeachtet, Patrick registrierte ihre barsche Äußerung mit sichtlichem Wohlwollen.
Dann musste er auch schon an Bord springen, löste vorher auf einen Wink des Skippers die Achterleine vom Poller und schon setzte sich die „Naomh Cirian“ in Bewegung. Als sie mit schäumender Kielspur die Mole umrundete und sich in die See stürzte, stand der junge Driscoll mit seiner grünen Fischerjacke über dem Arm auf dem Achterdeck und starrte zu seiner Traumfrau auf der Kaimauer hinüber. Er traute seinen Augen kaum: Sie stand da und winkte ihm zu.
Die Szene war nicht unbeobachtet geblieben. Lobster ruhte sich gerade nach einem morgendlichen
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