Gesichter im Nebel (German Edition)
fürchteten sie alle, brauchten aber gleichwohl manchmal ihre Kräuterkenntnisse, wenn einer von uns das hitzige Blut bekam. Nur unser blinder Priester und gewissermaßen oberste Instanz unserer kleinen Gesellschaft schien für ihre Künste nicht erreichbar. Es war ganz offensichtlich: Er begehrte sie als Gefährtin für sein Lager. Doch sie verweigerte sich ihm, sie schien sich überhaupt nichts aus Mannsbildern zu machen. Stattdessen hatte sie ein junges Mädchen an ihrer Seite, das sie in ihre finsteren Künste einwies. Und manchmal des Nachts hörte ich, wie sich die beiden miteinander vergnügten und dabei gar fürchterlich stöhnten. Ihre Hütte hatten sie abseits neben einigen der krüppeligen Kiefernbäumchen errichtet, um ungestört zu sein. Ich war der nächste Nachbar und so blieb mir nichts von ihrem ungewöhnlichen Treiben verborgen.
Nun geschah es, dass ein wahrhaftes Jahr der Stürme anbrach. Die ganze Welt schien in starken Winden und kalten Regenfluten unterzugehen. Wir konnten kaum genug Fische fangen, die Rüben wurden aus dem Ackerboden geschwemmt, zwei der Schafe über die Klippen ins Meer geblasen. Es war eine verdammt schwere Zeit und alle Gebete und Opferungen an die Götter halfen nichts.
Da nahm unser Priester zu einer verzweifelten, letzten Rettungsaktion seine Zuflucht. Er versammelte uns und verkündete, die Götter seien über alle Maßen erzürnt und, um sie endlich zu besänftigen, müsse zum Zeichen unserer Demut und Unterwerfung ein Mensch geopfert werden. Das hatte es bislang noch nicht gegeben. Aber es leuchtete uns ein.
Dann zeigte er mit seinem Stab in Richtung der Kräuterhexe mit ihren flammroten Haaren.
‚Ergreift sie, sie hat den Zorn der Gottheiten heraufbeschworen, sie hat den Sturm, den Donner und den Regen herbeigezaubert und über uns gebracht. Ergreift und fesselt sie.’
Und wir, verblendet wie wir in unserem finsteren Glauben an die Mächte der Unterwelt waren, stürzten uns auf diese Metze und zwangen sie nieder. Sie tobte und schrie. Doch es half alles nichts. Ihre junge Gespielin weinte und zeterte, aber wir beachteten es nicht, schließlich war sie ja eine Komplizin. Und sie hatte Glück, dass wir uns nicht auch noch ihrer bemächtigten.
Dann wurde die gefesselte Gefangene auf den höchsten Punkt der Insel gebracht. Der Priester entzündete ein lohendes Feuer und reckte die Hände zum Himmel, murmelte unverständliche Beschwörungsformeln und stieß ihr plötzlich trotz seiner Blindheit gezielt und mit voller Wucht seinen scharfen Flintstein ins Herz. Sodann fing er mit einem Kiefernzweig ihr Blut auf und bespritzte damit das spärliche Gras und die Felsbrocken ringsum.
Und wie zur Bestätigung des erzürnten Himmels gingen aus den schwarzen Wolken einige zuckende Blitze nieder und ein gewaltiges Donnergrollen zog über Eiland und Meer.
Bevor die rote Zauberin ihren letzten Atem aushauchte, rief sie mit einer geradezu unnatürlichen Stimme:
‚Verflucht sei dieser Fleck Erde, verflucht seid ihr alle. Keiner von euch und alle Kreatur auf dieser Insel soll mehr Ruhe finden, eure Seelen sind auf immer vom Jenseits verbannt, müssen durch Nacht und Nebel irren. Ich werde unter ihnen sein und meine bitterböse Vergeltung üben.’
Die schrecklichen Worte der Sterbenden trafen uns alle, wir erschauerten bis ins Mark. Dann stürzte sie wie eine gefällte Birke nieder. Ihre junge Freundin warf sich schluchzend über den leblosen Körper und entleibte sich durch einen Schnitt in die Kehle selbst. Das hatte keiner vorhergesehen. Das Blut der beiden Unglücklichen floss ineinander und so waren sie auch im Tode vereint.
Wir indes rannten in panischer Furcht hangabwärts in unsere Hütten. Heute weiß ich, dass dieser Mord nichts anderes war, als ein in das Kleid der Religion gehüllter Racheakt des abgewiesenen Schamanen, der im Übrigen als Einziger auf dem Hügel blieb und die beiden toten Körper dem Feuer übergab, die Reste verscharrte und erst am Abend wieder in unserer Mitte erschien.
Aber, wie es der unergründliche Ratschluss der Götter schien, die schlechten Zeiten und die schier endlosen Stürme waren damit vorbei und jedermann glaubte, dass dies das Werk unseres Zauberpriesters war. Seine Macht war umso größer geworden und jedermann duckte sich und fürchtete seinen Zorn.
Ja, so glaube ich nach all diesen Träumen, das war der Beginn der Seelenwanderungen, die bis in unsere Tage angehalten haben und auch noch späteren Geschlechtern auferlegt
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