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Gesichter im Nebel (German Edition)

Gesichter im Nebel (German Edition)

Titel: Gesichter im Nebel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Feyerabend
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kümmerte sich überhaupt nicht um die Erziehung seines Stammhalters, des einzigen Kindes im Übrigen. Er hatte die gefährliche Entwicklung erst gar nicht bemerkt.
    Diese permanente Verwöhnung weckte in dem heranwachsenden Jean-Pierre schließlich ein übertrieben elitäres Denken, eine Anspruchshaltung, dass ihm alles zustand, was er begehrte. Oft nahm er einfach Dinge an sich, ohne je um Erlaubnis zu fragen. Und einmal, als er bereits pubertierte, fiel er ein Hausmädchen an und wollte sie sich gefügig machen. Nur das zufällige Auftauchen des Vaters ließ ihn davon Abstand nehmen. Der gute Professor indes hatte nicht einmal registriert, was da vor sich ging und hielt das Ganze für eine Alberei, eine Balgerei im Scherz. Das Mädchen kündigte ohne Angabe von Gründen, es hätte ihr ohnehin niemand gegen das Wort des Herrn Sohnes geglaubt.
    Endlich schien der Regen eine Pause einzulegen, aber der Sturm heulte weiter wie ein wilder Wolf um die Kliffs und peitschte spritzend die See auf. Die späten Zecher machten sich endlich auf den Weg und Brighid war glücklich, dass ihre beiden Genossen sie unterhakten und sicher zur Herberge brachten. Sie hatte ihnen nichts von ihrem Erlebnis erzählt, sonst wäre es vielleicht noch zu Rangeleien mit den Franzosen gekommen und der Urlaubsfriede endgültig dahin.
     
    Unterdes beugte sich Paddy O’Donohogue wieder über seine geheimnisvolle Schrift. Und war es der Wind oder etwa anderes – die von ihm aufgeschlagene Seite war verblättert. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass dies kein Zufall war. Sofort wurde ihm klar, dass er diese Passagen lesen sollte. Nein, es konnte kein Zufall sein. So entzifferte er vorsichtig die jetzt aufgeschlagenen Zeilen. Es lag auf der Hand, dass sich gewisse Ereignisse zu wiederholen schienen, die Schattenwelt Menschenschicksale darauf zutrieb und in ihm keimte die Idee, dass diese wunderbare junge Frau aus der Hauptstadt in Gefahr war, ja eine Rolle in dem drohenden Drama spielte, das er kommen fühlte.
    „Ein weiterer Traum“, so schrieb der Ahn, „spielte in den Zeiten, als der Freibeuter Schwerthand in diesen Gewässern sein Unwesen trieb. Ich selbst war sein Steuermann und wie er von einer schier unersättlichen Habgier erfüllt. Weil wir meist nur Schiffe der englischen Krone oder britische Kauffahrer anfielen, hatten wir in der Bevölkerung an der Küste genug Sympathisanten, die uns das grausige Handwerk erleichterten, Unterschlupf gewährten und für uns Handel mit dem geraubten Gut betrieben. Da die meisten Küstenbewohner ohnehin verarmt waren und Frondienste für englische Lords leisten mussten, war das ein willkommenes Brot für unsere unglücklichen Landsleute. Wir konnten uns auch gut in Flussmündungen und an Inseln sowie in verschwiegenen Buchten verstecken, unsere Beute ungehindert ausladen und an Land transportieren, Verwundete in den Küstenorten gesund pflegen lassen und unser Schiff, die ‚Pride of the Seven Seas’, reparieren. Denn ganz ohne Blessuren kamen auch wir nicht aus so manchem Scharmützel heraus. Natürlich kannten wir allerhand leichtes Weibervolk in den Küstenorten und amüsierten uns mit ihm. Sie gaben ihr Bestes, denn wir waren unbestreitbar mit unseren stets wohlgefüllten Geldkatzen ihre betuchtesten Freier. Und so manche Doublone wechselte in der Nacht der Liebe wegen ihren Besitzer. Ich bin mir sicher, dass viele Kinder auf dem Festland und den Inseln Früchte unserer Lenden waren. Besonders Schwerthand trieb es gar wild und es gab wohl ein Dutzend Bankerte von ihm, die alle aus anderer Leute Fenster schauten.
    Prisen nahmen wir höchst selten, meist versenkten wir die gekaperten Schiffe und meuchelten ihre Besatzung. Zwei- oder dreimal nur ließen wir sie mit einer Prisenmannschaft weitersegeln, nachdem wir alles auf unser Schiff umgeladen hatten, was von Wert war. Doch Schwerthand beendete diese ‚humane Phase’ sehr schnell, als sich herausstellte, dass nach den Angaben von deren Kapitänen in London Konterfeis von unseren Gesichtern und typischen Merkmalen angefertigt und als Steckbriefe ausgehängt wurden. Nein, so meinte unser Führer, dieses Risiko sei ihm zu hoch. Also runter mit dem Engländerpack zu den Fischen. Wir machten uns daraus zu keiner Zeit ein Gewissen. Wir waren Vogelfreie. Und das vergossene Blut? Nun, das Salz der See wusch es rasch wieder von unseren Händen.
    Wenige Male wurden doch Prisen gemacht, meist, wenn sich hochadelige Personen an Bord befanden. Die segelten

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