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Gesichter im Nebel (German Edition)

Gesichter im Nebel (German Edition)

Titel: Gesichter im Nebel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Feyerabend
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sind. Und keiner kann den Fluch von uns nehmen.
    Wie nur mag sich dieser Scharlatan, der er in meinen Augen war, später gefühlt haben?
    Ja, unerfüllte Fleischeslust, Eifersucht und die Begierde der Menschen, das ist meine Erkenntnis auch aus späteren Ereignissen, treiben viele zu erschreckenden, furchtbaren Handlungen wider die Schöpfung, haben so manches Leben auf dem Gewissen. Und der Herr stehe mir bei, dass ich solchen Anwandlungen und Versuchungen gegenüber gefeit bleibe.
    Es ist lediglich ein Segen, dass die nachkommenden und vor allem von den Kelten neu zugewanderten Generationen von diesen Ereignissen nichts mehr erfuhren und so in scheinbarer Unschuld ihr Leben gestalten konnten. Denn wir alle, wir schwiegen über diesen Vorfall fortan aus Scham und Furcht und gaben unser Wissen um den schrecklichen Fluch nicht weiter.
    So Gott will, und ich hoffe es inbrünstig, wird die uralte Blutschuld eines Tages von uns genommen und alle die verdammten und ruhelosen Seelen finden endlich ihre Ruhe.“
    Hier hielt Paddy mit der Lektüre kurz inne. Er zweifelte keinen Augenblick, dass dies alles so gewesen sein musste, und war froh, dass er nun für sich das Rätsel gelöst hatte, warum ausgerechnet Cape Clear dazu verdammt war, die Luftwesen zu beherbergen. Er goss sich den Rest seines Gins ein und nahm einen bedächtigen Schluck. Er war sich nun ganz sicher, dass er mit dem alten und weisen Xirian über all das sprechen musste. Er fühlte sich jetzt geradezu gedrängt, sich ihm anzuvertrauen. Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, den furchtbaren Jahrtausendfluch zu bannen. Schließlich dürfte diese Schuld längst gesühnt sein. Er fand es mehr als ungerecht, dass immer wieder neue, unschuldige Geschlechter damit behaftet waren, freilich in der Regel ohne es zu wissen. Hatte die Vorsehung vielleicht sogar ihn dazu ausersehen, eine Lösung zu finden, nachdem es sein Vorfahr nicht geschafft hatte, das scheinbar Unvermeidliche akzeptierte und sein Leben damit einrichtete? Waren die Wesen nun deswegen auf ihn zugekommen? Er musste wirklich mit sich zurate gehen und er fühlte plötzlich eine schwere Verantwortung auf sich lasten.
    Es war bereits Mitternacht. Nun schien auch der neue Atlantiksturm über die Insel herzufallen. Schlagartig zuckten Blitze durch die Nacht, die trockenen Donnerschläge rollten mit vielfältigem Echo über das Eiland. Dann begann es, in Schüben zu regnen. Mächtige Güsse prasselten alsbald auf sein Dach und die Haustür – er musste sie nicht richtig geschlossen haben – knallte mit einem Schlag zu. Er unterbrach seine Lektüre, stand auf und schob den Riegel vor.
    Als er zum Tisch zurückschlurfte, war ihm auf einmal, als wäre er nicht mehr allein in seiner Stube.
    Ein unheimliches Gefühl.
    Doch er vermochte nichts Auffälliges zu entdecken. Alles blieb ruhig, dennoch nistete sich in seinem Unterbewusstsein der Verdacht ein, dass er beobachtet wurde.
    Wieder krachten ein paar mächtige Donnerschläge über die Insel. Und dann regnete es wahre Fluten vom Himmel.
     
    Bei „Cotter’s“ waren zu dieser Zeit noch ein paar Zecher zugange. Jetzt war an einen Heimweg erst mal nicht zu denken.
    Unter ihnen befanden sich noch zwei der Dubliner Studenten und Brighid. Sie hatte wirklich einen kleinen Schwips. Kein Wunder, denn nach der Attacke dieses lausigen Jean-Pierre hatte sie ein bisschen zu rasch und auch mehr getrunken, als es sonst ihre Art war. Sie wollte die ganze Affäre aus ihrem Bewusstsein verdrängen. Ja, ohne Paddy wäre sie verloren gewesen. Sie war zwar eine kräftige Frau, aber der einen halben Kopf größere Franzose verfügte über einen sportgestählten Körper und die Erregung mobilisierte zudem seine Kräfte. Nein, das hätte böse geendet. Da war sie sicher. Der Kerl musste verrückt sein, anders konnte sie sich diese totale Entgleisung eines sonst so intelligenten und gebildeten Menschen nicht erklären.
    Sie lag mit dieser Vermutung nicht einmal so schief. Schon als Kind hatte Jean-Pierre wegen Nichtigkeiten zu Anfällen eines unkontrollierten Jähzorns geneigt, einmal eine Katze halb totgeschlagen, als er sie beim Naschen in der Küche erwischte. Gleichwohl war er Mutters Liebling gewesen und bekam beinahe jeden Wunsch von den Lippen abgelesen. Das Hauspersonal hatte sich dem kleinen Tyrannen unterzuordnen, ein Tadel schien unmöglich, ohne gleich die empörte Mama auf den Plan zu rufen. Der Vater, meist in seinen astronomischen Sphären befangen,

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