Gesichter im Nebel (German Edition)
Nebel lasteten über dem Wasser und der Kapitän hatte bereits mehrfach die Befürchtung geäußert, dass er den Standort des Schiffes nicht mehr bestimmen konnte und sie wohl durch Strömungen auf ein Riff getrieben wurden. Denn eine ins Wasser geworfene Flasche driftete in eine Richtung davon, in der er die irische Küste vermutete. Die Sicht war gleich null, die Sorge also berechtigt. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Seefahrer so strandete, zumal die Segel fast schlaff an den Rahen hingen und kaum Fahrt im Schiff war. Ein kleiner Teil der Mannschaft lungerte deshalb tatenlos an Deck und wartete darauf, dass endlich eine frische Brise aufstand, die Segel wieder knatternd füllte und sie manövrierfähiger machte.
Plötzlich erblickte Brighid die Silhouette eines anderen Seglers. Er tauchte bedrohlich nahe vor ihnen auf, und ehe jemand an Bord reagieren konnte, polterte er krachend gegen ihren Rumpf, scherte längsseits. Sie sah Enterhaken, hörte das wilde Geschrei fremder Männer, die mit ihren Waffen über die Schanz sprangen und damit sofort ein wildes Blutbad anrichteten.
Ihre Mannschaft schien von diesem Manöver so überrascht, dass kaum Gegenwehr erfolgte. Zudem waren die meisten der Matrosen nicht bewaffnet, hatten allenfalls ein Messer oder einen Marlspieker am Gürtel.
In ihrer Todesangst schlüpfte sie unter einen Ballen Segeltuch und rollte sich wie ein Igel zusammen.
Es dauerte nicht lange, da war ihr Schiff in der Hand der Feinde.
Sie konnte auch in ihrem Versteck unschwer erkennen, dass es sich um Piraten handelte, verwegene, todesverachtende Kerle, die mit ihren bedauernswerten Opfern kein Pardon kannten. Eine befehlsgewohnte Stimme drang an ihr Ohr. Der Anführer der Freibeuter ließ den Rest der Mannschaft aus dem Schiffsbauch zusammentreiben und gab Order, ihre Leute auf der Stelle niederzustechen.
Sie wagte einen Blick aus ihrem Versteck und sah dem Kerl direkt ins Gesicht.
Sie erschrak.
Er sah aus wie Patrick O’Driscoll.
Zum Glück nahm er den kleinen, hochgehobenen Spalt des Segeltuches nicht wahr. In einem günstigen Augenblick kroch sie im Schutz des Ankerspills die kurze, ungedeckte Strecke über Deck und schlüpfte in die geöffnete Luke zum Kabelgatt. Hier konnte sie sich in der Finsternis zwischen Tauwerk und der zu einem Haufen aufgerollten Ankerkette verbergen und harrte der Dinge, die da noch kamen. Die Luft war muffig und sie rang um Atem.
Das mörderische Schlachten über ihr hielt unvermindert an. Die entsetzlichen Todesschreie drangen bis zu ihr. Sie zitterte am ganzen Leib und flehte alle Heiligen im Himmel um Beistand an, dass sie keiner dieser fremden Teufel aufspürte. Dann bekam sie an den Geräuschen, Befehlen und Stimmen mit, wie die Mordbande begann, Ladung auf ihr eigenes Schiff zu übernehmen, alles wertvolle Güter aus Amerika, woher sie gerade herkamen.
Die Korsaren feierten die reiche Beute mit lauten Rufen. Ihr Kommandant ließ sogar für jeden eine Kelle karibischen Rum ausgeben, der sich reichlich und fassweise unter den erbeuteten Gütern befand. Nach schier endlos erscheinenden Stunden waren die Freibeuter endlich fertig. Wieder hörte sie dumpfe Schläge, wie sie vermutete, von Äxten. Sie ließen den gesamten Rumpf erzittern.
Aber noch konnte sie sich in ihrem dunklen Versteck keinen Reim darauf machen. Dann kehrte Stille ein, entsetzliche Totenruhe. Es war ihr auch, als legte das Schiff der Korsaren jetzt ab.
Da begann sich plötzlich ganz langsam der Kettenhaufen des Ankergeschirrs zu bewegen. Er rutschte nach hinten auf das Kollisionsschott zu. Ihr wurde jäh klar, dass sich ihr stolzer Dreimaster mit dem Heck immer tiefer neigte und das Vorschiff, in dem sie sich befand, entsprechend schräg nach oben zeigte. Ohne Zweifel sank das einst stolze Fahrzeug. Die Enterer hatten ein großes Loch in den Rumpf geschlagen, ein Leck ins Unterwasserschiff gehackt, durch das jetzt immer schneller Wasser in den Schiffsbauch sprudelte.
In panischer Angst hangelte sie sich aus dem Kabelgatt nach oben – eine tödliche Falle, in der sie elend ertrinken würde. Und ohne lange nachzudenken sprang sie über Bord, damit das sinkende Schiff sie nicht mit in die Tiefe riss. Sie sah schwimmendes Treibgut, paddelte zu einer im Wasser vorbeidriftenden Spiere und hielt sich daran fest.
Eisige Kälte kroch alsbald in ihr hoch, sie schloss die Augen und dachte, nur noch halb bei Bewusstsein: „Das ist das Ende, auch du wirst sterben, die Unterkühlung hält
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