Gesichter im Nebel (German Edition)
kein Mensch lange aus!“
Plötzlich fühlte sie sich von starken Männerarmen gepackt und in ein Ruderboot gezogen. Wenig später stand sie Patrick O’Driscoll in der prächtig ausgestatteten Achterkajüte des Piratenschiffes gegenüber. Und obwohl ihr in ihrem Traum einer der grausamsten Küstenbrüder seiner Zeit begegnet war, faszinierte sie dieser Mann mit seiner Ausstrahlung. Jäh fühlte sie sich von einer bislang nicht gekannten Leidenschaft überfallen. Es war kaum zu fassen und es schien, dass sie gerade diese Aura von Gewalt und Blut, von Sieg und Eroberung in ihren Bann zog. Und sie erschrak in ihrem Traum über sich selbst.
Dem blutrünstigen Piratenfürsten schien es nicht anders zu gehen. Das Traumgesicht jedenfalls starrte sie mit demselben Blick an wie der wirkliche Patrick unlängst unten am Hafen von Cape – eine Mischung aus Bewunderung, Erstaunen, Neugier, plötzlich aufkeimender Zuneigung und noch verhaltener Leidenschaft.
Die Stimme des Blutes, sie fühlte es in dieser Sekunde, war stärker als jede Vernunft.
Dann wachte sie auf. Sie starrte ins Dunkel.
War das nun ein Traum? Ihr schien es wie pure Wirklichkeit, so realistisch war es, so stark ihre Gefühlsaufwallung, dass sie minutenlang dalag, um sich in der Wirklichkeit des schmucklosen Raumes zurechtzufinden. Durch die Fenster sickerte bereits das erste Morgenlicht. Sie hörte die Brandung an den Felsen, stärker als am Vorabend. Irgendwo weiter draußen musste es demnach kräftig Wind gegeben haben. Die dadurch erzeugten Wellen pochten unmissverständlich an die Küste von Cape.
Sie war noch immer wie benommen.
Dann wurde ihr schlagartig klar: Sie war in Patrick O’Driscoll verschossen. Da biss keine Maus einen Faden ab. Wie hatte ihr das nur passieren können, ausgerechnet ihr, die sonst von ihrem klaren und hellen Verstand geleitet wurde und auch so erzogen war?
Ihr junges Blut pochte fordernd unvermittelt sein Recht ein. Es war wie ein Frühlingssturm vor dem Sommerrausch und sie hatte keine Macht darüber.
Kenne einer die Menschen und vor allem: Kenne einer sich selbst und die Abgründe, die in ihm schlummern! Wisse einer um die genetischen Fingerabdrücke aus uralter Ahnenreihe, die plötzlich, Generationen später sein ganzes Verhalten, sein Schicksal, seine Träume und tiefsten Sehnsüchte bestimmen und zu einem völlig unkonventionellen Lebensentwurf führen, obgleich die Eltern vielleicht grundbiedere Leute sind und sich solche „Verirrungen der Seele“ bei ihren Kindern nicht zu erklären vermögen, zu ihrer eigenen Rechtfertigung gar so etwas „wie völlig aus der Art geschlagen“ murmeln.
Diesem Naturgesetz war sie nun ausgeliefert und sie wusste zugleich, dass sie den neu entdeckten Zustand sogar genoss. Gleich, was da auch immer kommen mochte, sie würde sich dem nicht entgegen stemmen, es einfach nicht können. Dessen war sie sich gewiss.
Der Vater, musste sie schmunzelnd denken, er hatte also in einem gewissen Sinn doch recht gehabt mit seiner launischen Warnung, sie könne mit einem Ring am Finger zurückkommen. Die Zeit dafür war reif, ihr Alter gerade richtig für die erste wirkliche Bindung ihres Lebens, die sie nun, angeschoben von diesem merkwürdig intensiven Traum, auf sich zukommen fühlte.
Brighid musste bei diesem Gedanken sogar lächeln.
Die bösen Geister der Nacht waren inzwischen dem Licht des Tages gewichen und Patrick war ja schließlich kein Pirat, auch wenn er gelegentlich zum Fischen mit auf die See fuhr.
Die Sonne schien von einem fast wolkenlosen Himmel, der Atlantik schimmerte blau in unendliche Fernen hinein und machte ihr Herz leicht und froh.
Der Glückspilz, der gerade am Hafen beim Beladen des Fährbootes mit anpackte, wusste noch nicht, was sich anbahnte, sonst hätte er vielleicht laut gejauchzt.
Patrick hatte den stoischen Lebensmut der meisten Insulaner in sich. Sie lebten, wie sie immer gelebt hatten, kannten schlechte und genossen gute Zeiten und bauten auf ein gesundes Gottvertrauen. Er wird’s schon richten, der Herr im Himmel da droben.
Die Querelen dieser Erde gingen an ihnen vorüber, die Hast modernen Lebens schreckte sie eher, nahm sie doch dem Menschen die Muße, stahl ihm die Zeit, die er für ein naturnahes Dasein brauchte und trübte den Blick für die Wirklichkeit einer Welt, die auch ohne die permanenten Eingriffe des Menschen zurechtkam, wahrscheinlich sogar besser.
Allerdings fühlte er seit dem Besuch im quirligen Dublin eine Unruhe in sich. Er war
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