Gesichter im Nebel (German Edition)
seiner Göttin begegnet und das Bild der blonden, stolzen Brighid aus Dublin ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Und dann tauchte sie auch noch plötzlich auf der Insel auf.
Er ging mit einer Mischung aus Sehnsucht und Verlangen durch den Tag, gleichzeitig in dem schmerzlichen Bewusstsein, nicht nach den Sternen greifen zu können. Denn diese junge Frau gehörte ganz zweifelsohne einer Gesellschaftsschicht an, die er für seine einfachen Verhältnissen als unerreichbar akzeptierte.
Die „Naomh Cirian“ verließ endlich mit dem zum Festland hin auflaufenden Wasser den Hafen und der junge Mann wandte sich um. Er schickte sich an, zu seinem Elternhaus am östlichen Ende der Insel zu schlendern. Eile hat er keine.
Als er vom Hafen den Hügel aufwärts strebte und die Hochfläche gewann, kam ihm plötzlich von der Kirche her seine heimliche Prinzessin entgegen.
Leicht beschwingt schritt sie durch den frühen Morgen. Ihr Haar schimmerte wie ein Goldhelm in der Sonne. Ihr Anblick traf ihn wie der Blitz. Mein Gott, sie war für ihn wirklich eine fast überirdische Schönheit. Sie trug einen langen, dunkelblauen Rock, darüber eine weiße, mit blauen Kornblumen bestickte Bluse, deren dezenter Ausschnitt ein atemberaubendes Dekolleté ahnen ließ. Das keltische Amulett glänzte in der Sonne. Ihre Füße steckten in festen Stiefeletten, was die kräftigen, aber wohlgeformten Waden ganz besonders betonte.
Er holte tief Luft, das musste erst einmal verdaut werden.
Sie blieb stehen und sah ihn strahlend an.
„Einen wunderschönen guten Morgen, Patrick, ist es nicht herrlich hier draußen an der frischen Luft? Und du kommst gerade vom Hafen…?“
Sie waren allein, weit und breit keine Menschenseele zu erblicken. Das machte die Situation leicht, aber gleichzeitig auch ein wenig beklommen.
Da standen sich zwei Menschen gegenüber, die zueinander wie durch unsichtbare Bänder hingezogen wurden. Die beiden fühlten, sie müssten es auch irgendwie aussprechen. Unbeholfen brach Patrick das Schweigen.
„Ja, ich habe beim Beladen geholfen.“
„Machst du das jeden Tag?“, fragte sie neugierig.
„Nö, nur wenn es unsere Sachen sind oder natürlich, wenn Not am Mann herrscht. Der Skip ist ja einer von uns Driscolls, verstehst du?“
„Ja sicher doch, Verwandtschaft hilft sich immer.“
„Sag’ das nicht. Auch da gibt’s manchmal Ärger. Aber was machst du heute so früh draußen?“, fasste er, mutiger geworden, nach.
„Ich genieße den schönen Tag und mache einen Spaziergang. Später will ich noch beim Ledermacher auf einen Sprung vorbeischauen. Hast du Zeit? Dann könnten wir ein Stück zusammengehen.“
Sein Herz schlug unversehens höher.
„Ja, sicher doch, natürlich gerne“, versicherte er, vielleicht etwas zu schnell, und wurde unversehens rot im Gesicht.
Sie registrierte es sofort, tat aber so, als bemerkte sie es nicht.
„Fein, dann fühle ich mich nicht so alleine. Es ist ja auch noch dieser schreckliche Franzose hier. Ich traue ihm nicht über den Weg. Weißt du, er hat mir die ganze Zeit nachgestellt!“
„Ja, das habe ich wohl bemerkt. Ein unangenehmer Bursche. Na, der soll nur kommen und frech werden, dann hau’ ich ihn ungespitzt in den Boden, dass er seinen Arsch in ‘ner Schlinge nach Hause tragen kann! Entschuldige den Ausdruck, aber für den Kerl ist er gerade recht.“
Und er ballte unvermittelt die Faust.
Sie lachte.
„Das glaube ich unbesehen. Du bist ja nicht gerade ein Hänfling!“
„Naja, wie man’s nimmt. Aber mit dem werde ich noch allemal fertig!“
„Hoffentlich wird’s nicht nötig. Ich habe überhaupt keine Lust auf so was. Es ist sonst so friedlich hier auf eurer Insel.“
Ohne es richtig zu registrieren, hatten sie sich in Bewegung gesetzt und schritten hügelan in Richtung des alten Lighthouse. Natürlich blieben sie nicht unbeobachtet. Wie hätte es auf dieser kleinen Insel auch anders sein können? Es waren die beiden Mädchen des Ledermachers, die auf ihrem Weg zur Schule das Pärchen, das noch keines war, erblickten.
„Hast du es auch gesehen?“, fragte die Ältere.
„Ja, die Feen sind um sie herum. Aber auch diese alte Zottelhexe. Und die sieht ganz böse aus.“
„Ich habe keine Angst. Brighid wird schon nichts passieren. Sie gehört ja zu denen!“
„Weißt du, ich glaube, die beiden gehen jetzt zum Lighthouse, weil es dort keiner sieht, wenn sie sich küssen.“
„Ha, ha“, lachte das Schwesterlein, „das ist bestimmt lustig, vielleicht
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