Gesichter im Nebel (German Edition)
Gelächter. Und erst jetzt stieß er einen markerschütternden Schrei aus, den letzten seines Lebens. Sein Körper schlug auf einer Klippe auf. Die scharfkantigen Felsen brachen ihm sofort Rückgrat und Genick. Er wurde vom Rückwärtssog des überspülenden Wassers erfasst und unerbittlich aufs Meer hinausgezogen.
Die Schatten hießen ihn in ihrem Reich willkommen, den Eigenbrötler Paddle, den ehemals erfolgreichen Finanzmakler und Börsenspekulanten aus Südafrika, den Flüchtling und Mörder seiner Frau und ihres Liebhabers.
Paddy hatte sich, um seinen Schlaf gebracht, zum Südhafen aufgemacht. Plötzlich war es ihm, als hörte er einen zittrigen Schrei von den Kliffs. Und zugleich spürte er eine mächtige Unruhe um sich. Er schauderte unwillkürlich und kehrte, jetzt selbst ängstlich geworden, auf dem Absatz um. Er wollte lieber zurück in seine schützenden vier Wände, Schlaf hin, Schlaf her.
Das alles jedenfalls war ihm nicht mehr geheuer. So aufdringlich waren die Luftgestalten noch nie, seit er um ihre Existenz wusste. Erneut fragte er sich, was bloß los war in dieser Nacht des Nebels.
So entging ihm, dass sich nicht weit entfernt ein dunkler Schatten ins Gebüsch drückte. Es war Jean-Pierre, der sich wieder einmal heimlich zur Jugendherberge aufgemacht hatte, in der vagen Hoffnung, vielleicht durch die Fenster des Waschraumes einen Blick auf die Nacktheit der geliebten und zugleich gehassten Brighid werfen zu können. Doch vergebens, alles blieb dunkel, die junge Dublinerin war noch bei „Cotter’s“, gönnte sich mit ihren Freunden das eine oder andere Pint, voll des jubelnden Glücks ihrer jungen Leidenschaft und von innigen Gedanken an den jungen Driscoll erfüllt.
Enttäuscht machte sich der Franzose auf den Rückweg. Auch er fühlte, dass in dieser Nacht etwas Außergewöhnliches geschah. Eine seltsame Unrast erfasste ihn, ließ ihn im dichten Nebel am Ende des Südhafens den falschen Abzweig nehmen und führte ihn in die Irre.
Anstatt die vertrauten Lichter des Pubs zu passieren, fand er sich plötzlich vor einem alten, verlassenen Cottage wieder, von dem es hieß, es sei schon ein halbes Jahrhundert nicht mehr bewohnt. Soviel jedenfalls hatte er aus den Gesprächen der Insulaner herausgehört.
Doch, was war das?
Er vernahm Stimmen aus dem Inneren des Baus, wenngleich keinerlei Lichtschein zu erblicken war. Neugierig trat er näher und schlich sich an eine der Fensterhöhlen heran.
In der Tat, es schien sich jemand in dem halb verfallenen Gemäuer aufzuhalten. Ausgelassene Wortfetzen in einer ihm nicht bekannten, herb und kehlig klingenden Sprache drangen an sein Ohr. Dann sah er schemenhaft zwei miteinander verschlungene Schatten, die sich tanzend umarmten, wie in einem erotischen Reigen ohne jede Begleitmusik drehten. Er nahm eine nackte Frau wahr, die sich offensichtlich mit ihrem Liebhaber vergnügte, langes graues, zu einem Zopf geflochtenes Haar zierte ihren Hinterkopf. Im schwachen Licht des fast vollen Mondes, das durch die Nebeldecke sickerte, gewahrte er den Schimmer eines Goldmedaillons um ihren Hals.
Ihr Gesicht, als sie sich drehte, ließ ihn allerdings erschauern: Es war das eines angemoderten Totenschädels. Der dazu gehörende Mann sah nicht minder schrecklich aus. Undeutlich nahm der Lauscher wahr, dass dessen ganzes Gehabe, seine Gestalt ihn fatal an seinen Nebenbuhler Patrick O’Driscoll erinnerten. Um den Kopf hatte dieser Teufel das rote Tuch der Korsaren geschlungen, an seiner Seite schwang ein mächtiger Säbel im Rhythmus des seltsamen Tanzes mit.
„Ich werde verrückt!“, dachte der behütete, verwöhnte Großstadtjunge, „ich werde wirklich langsam verrückt.“ Und er schüttelte sich, wie um etwas Lästiges los zu werden.
„Ich werde hier auf dieser Insel wirklich noch ganz weich im Kopf. Jetzt habe ich schon Halluzinationen. Das verdanke ich alles diesem irischen Bastard. Es ist an der Zeit, ihn ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen, Brighid zu ficken und dann nichts wie ab! Ja, dann geht’s mir besser.“
Doch so sehr er sich einredete, dass diese Spukerscheinung nichts anderes als ein Trugbild seiner überhitzten Fantasie und des wallenden Nebels sein musste: Die tanzenden Schatten in der verfallenen Hütte ließen sich nicht hinweg beten. Sie waren da und trieben ihr makabres Spiel, ihren gespenstischen Totenreigen weiter. Während er noch angespannt in den wabernden Dunst blickte, hörte der zutiefst beunruhigte junge Mann zudem um
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