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Gesichter im Nebel (German Edition)

Gesichter im Nebel (German Edition)

Titel: Gesichter im Nebel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Feyerabend
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über die Klippen gestürzt ist“, gab Prawn zu bedenken.
    „Gestern gegen Abend hat ihn unser guter Xirian besucht, da war der Alte jedenfalls noch quietschfidel und sagte, er fürchte sich, nach draußen zu gehen. Und da soll er plötzlich mitten in der Nacht doch das Haus verlassen haben und zu den Kliffs gegangen sein? Das ist doch rätselhaft!“
    „Paddy, du weißt doch, dass der arme Mann in letzter Zeit sehr verstört war, ja wahrscheinlich sogar völlig wirr im Kopf. Wer weiß, was ihn plötzlich trieb, vielleicht wusste er nicht einmal, was er tat, als er das Haus verließ. Da ist ein solcher Unfall sehr wohl möglich. Neulich haben sie die Frau von McBarren am Hafen erwischt, wie sie aufs Schiff klettern wollte, nur mit einem Morgenmantel bekleidet. Sie ist ja seit einiger Zeit völlig dement, erkennt ihre eigenen Leute nicht mehr und behauptete, sie müsse dringend nach Cork, ihre Schwiegertochter besuchen. Dabei wohnt die doch auf Sherkin-Island. So was Ähnliches kann auch mit Paddle passiert sein. Eine plötzliche Blutleere im Gehirn, völlige Orientierungslosigkeit, die fixe Idee, etwas tun zu müssen. Vielleicht wollte er sich in seinem Wahn wieder in den Caves verstecken und ist dabei abgestürzt. Ich jedenfalls finde keine andere Erklärung“, setzte Prawn gewichtig nach.
    „Das ist schon seltsam“, dachte Paddy, „gestern erzählte mir Xirian, dass gespenstische Schatten gedroht hätten, ihn zu sich zu holen und wenig später ist es tatsächlich geschehen. Nein, da kann etwas nicht mit rechten Dingen zugehen!“
    Er erschauerte erneut, als ihm der Schrei einfiel und die Unruhe der Geisterwelt in der vergangenen Nacht, die ihn selbst zurück in sein Haus getrieben hatte.
    „Sag mal, mein Lieber, was hast du da an deiner Tür für einen Spiegel hängen?“, fragte Prawn plötzlich. „Mir fällt auf, dass auch Paddle zu unser aller Verwunderung so ein Ding an seiner Vorderfront aufgehängt hat.“
    Nun war Paddy mehr als verlegen. Was sollte er darauf antworten? Er konnte ihnen jetzt doch nicht die Wahrheit sagen. Sie würden es nicht glauben und auch ihn womöglich für verrückt halten.
    „Ach so, der Spiegel“, meinte er gedehnt, „ja wisst ihr, das ist mehr so ein Spaß. Xirian erzählte mir, dass Paddle damit böse Geister vertreiben wollte und da habe ich aus lauter Jux unseren alten Spiegel geholt und auch an die Tür genagelt. Ich dachte, wenn’s nichts nützt, so schadet es auch nicht. Und ein Spaß ist es alle Male, weil – wie ihr jetzt gerade – die Leute erschrecken, wenn sie sich plötzlich ihrem Konterfei gegenübersehen. Also nichts für ungut.“
    Inzwischen war auch Xirian verabredungsgemäß eingetroffen. Eigentlich wollten sie beide ja nach der Kiste graben, aber durch die veränderten Umstände mussten sie diese Aktion wohl auf ein andermal verschieben. Denn die ganze Insel war über den jähen Tod des Sonderlings wie aus dem Häuschen. Es wurde bereits heftig darüber diskutiert, wo Paddles sterbliche Überreste begraben werden sollte. War er nun Katholik oder etwa gar, wie die meisten Engländer, Protestant? Keiner wusste es. In der Kirche hatte er sich jedenfalls nie blicken lassen und auch sonst keinerlei Anzeichen von Frömmigkeit gezeigt. Guter Rat war teuer.
    Der Pfarrer musste es schließlich entscheiden.
    „Auf jeden Fall war er ein Christenmensch, wenn auch kein frommer“, meinte Hochwürden, „selbst wenn er aus so einem Heidenland wie Afrika kommt, wo die Neger noch an Erd- und Buschgötter glauben und allerlei unchristliche Zeremonien und Zauberrituale betreiben. Wir haben nun mal nur einen Gottesacker auf unserer Insel. Und da wird er auch bestattet, basta! Ich gebe ihm den letzten Segen auf seinem Weg in die Ewigkeit. Wir werden ihn ganz hinten zur Ruhe betten, wo noch keine anderen Gräber sind, sodass sich niemand brüskiert fühlen muss. Wickelt ihn in seinen Mantel und in ein paar alte Decken ein, einen Sarg können wir so schnell nicht auftreiben und die See wollte ihn auch nicht haben, sonst hätte sie ihn nicht wieder ausgespuckt. Und damit genug der Diskussion. Amen.“
    So geschah es. Noch am selben Nachmittag fand die schlichte Zeremonie statt. Und, obwohl niemand wusste, ob Paddle wirklich ein Christ war – fast die ganze Inselbevölkerung hatte sich eingefunden, um dem alten, unglücklichen Mann das letzte Geleit zu geben.
    Paddy half beim Einschlagen des Körpers in den wohlbekannten Fischgrätmantel, den endlich die See sauber

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