Gesichter im Nebel (German Edition)
gewaschen hatte. Er konnte sich mit seinem Hintergrundwissen über die Schattenwelt des Eindrucks nicht erwehren, dass ihm der tote Sonderling dabei fast listig zuzwinkerte. Doch darüber sprach er natürlich mit niemandem. Die Schatten hatten eindeutig zu viel Einfluss in seinem Leben.
Die Trauerfeier war kurz. Der Pfarrer bat die himmlischen Mächte um Gnade für den sündigen Erdenbürger, der ja kein einfaches Leben gehabt habe und somit bereits im Diesseits Buße zu leisten hatte. Dann polterte die Erde in die Grube, die Trauerfeier war vorbei und die wehrschaften Männer der Insel trafen sich im Pub, um die Leiche gehörig zu begießen.
Der pensionierte Seemann Declan bekam wieder einmal Gelegenheit, seine traurige Ballade „My only son was shot in Dublin“ mit zittriger Stimme vorzutragen, was ihm als unmittelbarem Nachbarn des toten Sonderlings an diesem denkwürdigen Tag ein paar Pints „Murphy’s“ mehr als gewöhnlich einbrachte.
Doch der Tag war damit noch lange nicht beendet. Gleich noch etwas Aufregendes geschieht an diesem Abend.
In den Südhafen lief ein schmucker, anscheinend ziemlich neuer Kutter ein und warf Anker. An seinem Heck flatterte stolz die blau-weiß-rote Nationale Hollands. Am Bug des niederländischen Schiffes war links und rechts je ein großes, stilisiertes Auge aufgemalt, wie es bei manchen Asiaten und Mittelmeerfischern üblich ist. Sie sollten die Geister des Meeres vertreiben. Der Eigner konnte ja nicht ahnen, wie sehr ihm das auf seinen derzeitigen Ankerplatz zugutekam.
Lobster, nicht wenig angetrunken, sah das fremde Schiff zuerst. Er sprang in sein Boot und wriggte zu dem Ankömmling hinaus.
„Mich laust der Affe“, rief er freudestrahlend, „Unser Mijnheer van der Straaten, wie er leibt und lebt. Ja, Menschenskinder, was treibt dich denn wieder hierher?“, rief er begeistert, als er längsseits ging.
Der Holländer lehnte an der Reling, paffte seine Pfeife und grinste.
„Ich denke, die Luft ist jetzt wieder sauber bei euch und da möchte ich natürlich unsere Geschäftsverbindung von Neuem aufnehmen. Ich denke, ihr seid damit einverstanden.“
„Aber klar doch, wir haben dich und die guten Geschäfte all die Jahre vermisst. Hast du schon Ware dabei?“
„Das kannst du dir denken. Der ganze Dampfer ist randvoll. Und wenn ihr nicht genug Geld zusammenbringt, um alles zu übernehmen, gebe ich euch Kredit bis zum nächsten Mal. Sag das deinen Kumpeln und dann können wir sofort mit dem Löschen beginnen. Je schneller ich das Zeug los bin, desto besser! Und dann nichts wie ab und zurück nach Terschelling und zur Mutter.“
Lobster grinste. „Warte, ich trommle unsere Leute zusammen. Sie sitzen fast alle noch bei ‚Cotter’s’. Das trifft sich gut, dann brauche ich nicht von Hof zu Hof zu gehen. Du kannst schon mal dein Dingi aussetzen, wir kommen mit zwei Booten. Ich schätze, in zwei Stunden ist der ganze Spuk vorbei.“
„Prima, beeil dich. Ich schaffe die Kisten derweil an Deck. Es ist ohnehin schon fast dunkel und so bekommen einige Leute erst gar nichts mit von der Aktion."
Damit allerdings irrte er. Nichts auf der Insel geschah, ohne dass sich die Neuigkeit wie ein Lauffeuer verbreitete. Schon waren auch einige neugierige Kinder versammelt und begafften das ungesetzliche Treiben ihrer Erzeuger.
Lobster legte sich in die Riemen, als wollte er eine Regatta gewinnen, vertäute sein Boot und rannte, so schnell ihn seine Füße in den klobigen grünen Gummistiefeln trugen, zurück in den noch immer rammelvollen Pub.
Die Freude der allesamt angetrunkenen Männer war riesig. Endlich herrschte wieder Spannung auf der Insel und es winkten gute Gewinne. Die früheren Abnehmer auf dem Mainland hatten sich schon mehrmals gemeldet, denn auch ihnen entging durch die denkwürdige Zollaktion ein gutes und bis dahin sicheres Geschäft. Diesmal dürfte nach menschlichem Ermessen kein solches Arschloch wie beim letzten Mal dabei sein, das den Zoll auf so dämliche Weise mit der Nase auf die illegalen Transaktionen stieß. Da würden sie schon gehörig aufpassen.
Alsbald begann im Südhafen ein emsiges Treiben. Die Boote huschten hin und her. In Windeseile hatten sich einige eingeweihte Insulaner mit Handkarren an der kleinen Pier eingefunden. So mancher Sparstrumpf wurde in aller Eile geleert und Mijnheer van der Straaten mit seinem neuen Kutter „Javanse Jong“ rieb sich erfreut die schwieligen Hände.
Prawn fragte, während er gerade eine Kiste mit
Weitere Kostenlose Bücher