Gesichter im Nebel (German Edition)
sich herum ein geisterhaftes Wispern, manchmal gar ein Gekicher. Es war voll Häme und für ihn auf eine fast irreale Weise bedrohlich, doch zugleich komplizenhaft. Die ganze Insel schien in Aufruhr.
Entsetzt hetzte er davon, zurück auf dem Weg zum Südhafen, hatte dabei das Gefühl, von den Schatten verfolgt zu werden. Doch auch hier am Wasser vermeinte er, im dunklen, hin und her schwappenden Tang wechselnde Gesichter, Fratzen zu erblicken, die ihn mit aufgerissenen toten Fischaugen böse angrinsen.
Und weiter rannte er in wirrer Panik, diesmal auf dem richtigen Weg zurück zur Vogelstation, passierte „Cotter’s“, vernahm Stimmengewirr und vermeinte, dazwischen das glockenhelle Lachen von Brighid zu hören.
„Na warte, du kleine irische Hure, dir wird die Fröhlichkeit bald vergehen. Ich werde dich demütigen, deinen Stolz brechen! Du Miststück, du gälisches Flittchen, du Nüttchen, bist nicht würdig, an meiner Seite zu sein. Mein Lüstchen werde ich an dir kühlen und dir das rotbehaarte Fellchen gerben, bis du um Gnade wimmerst. Du hast es nicht anders verdient.“
Jean-Pierre lachte laut in die Nacht, bis er endlich seine wie ausgestorben wirkende Station erreichte. Wahrscheinlich waren seine Kameraden ebenfalls oben im Pub, eine andere Möglichkeit, sich abends zu amüsieren, gab es auf der gottverdammten Insel ja nicht. Auch sie hasste er heute deswegen, sie scherzten und alberten vielleicht mit Brighid und ihren Genossen.
Bevor er die stets unverschlossene Tür aufriss und eine Petroleumfunzel entzündete, schien ihm, als befinde sich unversehens jemand neben ihm.
Argwöhnisch und angstvoll sah er sich um. Allerdings erblickte er nichts Ungewöhnliches, nur wallende Nebel und nochmals Nebel.
Doch da war ganz unvermittelt ein heiseres Wispern in seinem Ohr:
„Bring ihn um, du musst es tun! Es wird dich befreien, dir die Last nehmen von all dem menschlichen Sumpf in dieser Welt. Du gehörst zu den Auserwählten.“
Ha, hatte er sich das wieder nur eingebildet oder war es wirklich eine Stimme aus dem Jenseits?
Er vermochte es nicht zu sagen. Wieder zweifelte er an seinem Verstand. Aber der Befehl blieb in seinem Gehirn haften, nistete sich als böses Geschwür in seiner Seele ein und ließ ihn an nichts anderes mehr denken. Schließlich hatte die Stimme recht!
Er fühlte sich wie von giftigen Dämpfen angefüllt, warf sich auf ein zerschlissenes Sitzmöbel und brütete über einen Weg nach, der ihm – so glaubt er in seinem fixen Wahn felsenfest – die Erlösung von all seinen inneren Qualen bescheren würde.
Sein unsteter, flackernder Blick wirkte irr, Schweiß stand auf seiner Stirn und vor der Tür lachte schrill eine rote Hexe.
Nur eine Meile weiter hatte Paddy endlich sein Haus erreicht. Noch unter der Tür fiel ihm die Sache mit den Spiegeln ein. Also ging er ins Schlafzimmer und hängte den halbblinden, alten Spiegel seiner Mutter ab, trug ihn vors Haus und lehnte ihn an die Wand. Während er in der Stube nach einem Hammer und den Nägeln suchte, hört er ein überraschtes Zischen. Und tatsächlich: Plötzlich wurde es still ums Haus. Er schlug einen Nagel ein und hängte den Spiegel wie ein Schutzschild an die Tür. Jetzt, so glaubte er, könne er auch in Zukunft ruhig schlafen.
In der Tat fiel er alsbald in einen tiefen Erschöpfungsschlaf, aus dem er erst am Vormittag erwachte, als es wie wild an seine Tür pochte.
Noch halb benommen wälzte er sich von seiner Lagerstatt, schlüpfte in die Hose, zog sich ein Hemd über den Kopf und schlurfte zum Eingang.
Als er öffnete wehte ihm ein frischer Wind entgegen und zerzauste ihm die Haare. Die Nebel hatten sich verzogen.
Draußen standen ein paar Fischerkollegen und redeten aufgeregt durcheinander.
„Was ist denn los?“, fragte Paddy neugierig.
„Paddle ist tot. Seine Leiche wurde heute mit der Flut in den Südhafen geschwemmt. Er muss elendig ertrunken sein“, verkündete der Lobster-King, der am frühen Morgen mit dem Boot hinaus gerudert war, um nach seinen Hummerkörben zu sehen. Er war es auch, der den treibenden Körper erspähte und am Fischgrätmuster des Mantels sofort erkannte, um wen es sich da handeln musste.
„Aber wie zur Hölle kommt der Kerl denn dahin? Der geht doch nicht vor die Tür und schon gar nicht aufs Wasser. Das ist alles sehr merkwürdig, meint ihr nicht auch?“
Paddy fragte es, mehr als verwundert.
„Wir haben dafür auch keine Erklärung, außer dass er vielleicht bei Nacht und Nebel
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