Gesichter im Nebel (German Edition)
wirklich nicht mehr, was ich tun soll. Ich sammle schon lange kein Holz mehr zum Kochen. Allenfalls hole ich im Kramladen was zu knabbern und gehe dabei schier vor Angst ein.“
„Paddle, das ist wirklich schrecklich. Aber so kannst du nicht weiterhausen. Nein, wirklich nicht. Merkst du eigentlich gar nicht, dass es bei dir stinkt wie in der Hölle? Es ist kaum auszuhalten. Du wirst noch krank werden von all dem Müll und den Keimen!“
„Das ist mir egal! Ich muss weg, ich muss wirklich weg. Aber ich weiß nicht wohin. Die Polizei sucht mich und auf dem Festland werden sie mich bald finden und für den Rest meines Lebens einsperren.“
„Wir müssen uns Gedanken machen, was zu tun ist. Ich werde mit Paddy O’Donohogue reden. Vielleicht weiß der einen Rat. Und danke dir, du hast mir wirklich weiter geholfen.“
Xirian schaute, dass er wegkam. Ihm war speiübel und er fragte sich erneut, wie sein Gegenüber das überhaupt aushielt. Ein normaler Mensch würde sich zu Tode ekeln.
Als er zum Hafen schlenderte, fiel bereits der Nebel ein. Es wurde merklich kühler und Xirian fühlte, dass die Schatten erneut um ihn waren.
„Was wollt ihr von mir?“
Wieder und wieder fragte er wie immer in die Nebelwand hinein. Doch er bekam auch heute keine Antwort.
„Warum habt ihr zu Paddle gesprochen und könnt das mit mir nicht? Hört ihr? Wenn ihr etwas von mir wollt, so sagt es an! Hört ihr?“
Als er hügelan stieg und sich der Kirche näherte, fühlte er, wie die Geistwesen verschwanden. Es war wie bei den anderen Malen. Die Bannmeile des Gotteshauses war den Gestalten aus der Anderswelt nicht geheuer. Auch das war ein Hinweis.
Nach weiteren Minuten erreichte er Paddys Haus und klopfte. Der Fischermann öffnete und bat ihn herein. Er vermochte kaum zu glauben, was er da hörte.
„Und sie haben ihm wirklich gedroht, ihn zu sich zu holen? Aber warum gerade jetzt? Das ist mir ein Rätsel.“
„Ja“, meinte der Blinde, „mir auch. Vielleicht ist ein besonderer Jahrestag oder so was. Weißt du, wie Halloween, wenn angeblich die Toten aus ihren Gräbern kriechen.“
„Mhm, das klingt vernünftig. Es muss etwas dran sein, dass sie gerade jetzt so massiv auftreten.“
„Und, was ich dir noch erzählen wollte“, fügte der Blindmann an, „Paddle hat herausgefunden, dass sie sich vor Spiegeln fürchten. Er hat sich einen an die Tür genagelt. Im Übrigen ist es in seinem Haus nicht zum Aushalten. Er haust dort wie ein Schwein und die Bude stinkt so bestialisch, dass einem Brillenträger glatt die Gläser beschlagen würden.“
„Eine alte Drecksau war das schon immer. Aber jetzt scheint er vollends zu verwahrlosen und zu verkommen. Das wird sicher bald von alleine enden, wenn er so weitermacht.“
„Paddy, was auch immer, lass uns heute ein Stück weiterlesen, es sind ja nur noch wenige Seiten. Vielleicht finden wir in der Schrift noch einen interessanten Hinweis.“
Und wieder machten sich die beiden Männer daran, sich in die Geheimnisse des verblichenen Ahnherrn zu vertiefen, während draußen die Nebel gespenstisch um das Haus wallten. Mit ihm verschwammen die Gestalten aus einer anderen Zeit.
Überall auf der Insel waren sie in dieser Nacht, der Nacht vor dem vollen Mond. Sie tanzten wie wild – einen gespenstischen Reigen von Tod und Sühne, von Verderben und Verdammnis, die böse Frucht eines uralten Fluchs, der in diesen Tagen, ohne dass es die Lebenden wussten, seinen dreitausendsten Jahrestag erreicht hatte. Die rote Hexe wirbelte wie eine Furie umher, stachelte die anderen an, fuhr um die Häuser. Es war ein wahrer Höllensabbat, der sich an Land immer wieder um den alten Schwurstein und den ehemaligen Scheiterhaufen in der Nähe des alten Lighthouse konzentrierte, im Wasser den Südhafen unruhig machte, wenn die Inseln des Blasentangs in der Dünung hin- und herschwangen.
Hätten des Ledermachers Töchter nächtlichen Ausgang gehabt, sie dürften in ihrer kindlichen Unschuld und mit der Gabe der Fantasie, in eine andere Welt geblickt, sogar das irre Lachen der bösen Zauberin gehört haben.
„Und ich träumte weiter“, hieß es in dem Text, „immer wieder. Ich sah Mordtaten, Verrat, heimliche Ränke. Ich wurde gewahr, dass es böse und gute Schatten gibt, die sich teilweise durch die Geschehnisse, die sie auslösen, gegenseitig bekämpften.
Eine besonders farbige Traumszene spielte sich in der Zeit der französischen Blockade ab. Damals lebten mehr als sechshundert Menschen auf unserer
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