Gesichter im Nebel (German Edition)
sieht es fast danach aus! Er war doch früher nicht depressiv, und das jetzt, das ist nicht normal. Was er bloß hat?“
„Mal den Teufel nicht an die Wand“, meinte dieser nachdenklich, „ich glaube, wir müssen mal mit ihm reden. Vielleicht ist er nur unglücklich in diese blonde Irin verknallt. Er schlich ja immer um sie rum. Sie hat ihm wahrscheinlich einen Korb gegeben.“
„Und einstecken konnte er ja früher schon nichts! Es musste immer alles nach seinem Kopf gehen“, meinte ein anderer Kommilitone. „Wir sollten wirklich mal mit ihm sprechen.“
Doch Jean-Pierre wich jedem Versuch dazu aus. Er verließ früh die Vogelstation. Manchmal stieg er auch den Weg zum Lighthouse hoch, kickte mit dem Fuß ärgerlich ein paar Steine weg, kraxelte den schmalen Pfad zum Wasser runter. Dort sprang er zwischen zwei Wellen auf eine erhöhte, einzelne Klippe und setzte sich auf den Stein, ein gefährliches Unterfangen. Denn zuweilen rollte über die See eine ungewöhnlich hohe Woge an und überschwemmte schäumend und brausend solche Felsrücken. Unweigerlich würde ihn dann der gewaltige Rücksog ins Wasser ziehen. Er schien mit den Gewalten des Meeres wenig Erfahrung zu haben.
Ihm gegenüber kreischten ein paar Basstölpel in der zerklüfteten Felswand, flatterten unruhig hin und her, bis sie merkten, dass von dem Menschlein da unten keine Gefahr ausging. Dann segelten sie mit ihrem weißen Federkleid und den schwarzen Flügelspitzen wieder über die Weite des Wassers, wo sie als Sturztaucher auf Fischfang gingen und pfeilschnell bis in Tiefen von über 20 Metern vordrangen.
In anderen Felsnischen hatten sich Schwärme von Alkenvögeln, Möwen und Trottellummen niedergelassen. Sie verteidigten ihre Gelege ebenfalls aggressiv. Ihre heiseren Schreie waren weithin zu hören. Zu Zeiten des Vogelflugs rasteten in diesen Felsen Hunderte von verschiedenen Arten, die sich vom milderen Klima der Insel gegenüber den Temperaturen auf dem Festland anziehen ließen. Zur Brut suchten zudem regelmäßig Seeschwalben das kleine Vogelparadies im Atlantik auf.
Doch an diesem Tag hatte der französische Vogelkundler keinen Blick für die gefiederten Gäste Capes. Ununterbrochen ging ihm der geflüsterte Befehl nicht aus dem Kopf.
„Du musst ihn töten!“
Die Order aus dem Jenseits musste einer Art Gottesgericht entstammen, das ihn zum Vollstrecker auserwählt hatte. Ihm und sonst niemanden war Schmach angetan worden. Und es war nur gut und recht, wenn es auf höheren Befehl dafür Vergeltung gab.
Allerdings wusste er nur zu gut, dass die geplante Bluttat auf einer so kleinen Insel nur schwer zu verwirklichen war. Diese unruhigen Gedanken trieben ihn um, während er auf der Felsplatte kauerte und seinen finsteren Mordplänen nachhing. Immer wieder malte er sich entsprechende Szenarien aus. In seinem Inneren tobten blindwütiger Hass und die Enttäuschung des zurückgewiesenen Liebhabers. Und alle wussten davon! Nein, er konnte so etwas nicht auf sich sitzen lassen.
Am besten wäre es, wenn er den Nebenbuhler über die Klippen stürzen könnte. Das würde, wie bei dem schrecklichen alten Mann in seinem Fischgrätmantel, schließlich wie ein Unfall aussehen. Dazu allerdings musste sich eine Gelegenheit ergeben. Viel Zeit hatte er nicht mehr. Die Semesterferien neigten sich dem Ende zu.
Inzwischen war auch dieses blonde Miststück Brighid von ihrem Ausflug nach Cork oder wohin auch immer wieder auf der Insel zurück. Er sah sie mit der Fähre ankommen und leicht beschwingt der Herberge zustreben. Das stachelte seine Begierde auf Genugtuung aufs Neue an. Auch dieser elende Patrick war da und machte ganz den Eindruck eines glücklichen Mannes.
Jean-Pierre drängte sich sofort der Verdacht auf, dass sich das saubere Pärchen irgendwo auf dem Festland getroffen hatte. Dann wurde ihm schlagartig bewusst, was sich dabei vermutlich abgespielt hatte. Zornesadern traten auf seine Stirn und er ballte die Fäuste in den Taschen, dass die Knöchel weiß wurden.
Von nun an musste er die beiden genau beobachten. Sicher würden sie sich wieder irgendwo treffen, wo sie sich unbeobachtet fühlten. Und dann könnte vielleicht eine günstige Situation entstehen. Denn ein verliebter Gockel, so dachte er hämisch, lässt in seiner Aufmerksamkeit für die Umwelt nach. Nach vollbrachter Tat würde er sofort abreisen, bevor das Unglück entdeckt wurde. Ja, so konnte es gelingen. Wieder und wieder malte er sich seine Vergeltung in den glühendsten
Weitere Kostenlose Bücher