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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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waren da nur Hinterköpfe und abgewandte Schultern. In der Nähe der Tafel sah er Overkamps Rücken, seine Schlüsselbeine zeichneten sich kantig unter der Schurwolle des Burberry-Jacketts ab. Die Hände hinter den Rockschößen verschränkt, wippte Overkamp auf den Fußballen, in flüsterndem Austausch zum Kardiologen hinuntergebeugt.
    Eine halbe Stunde später saß Gabor noch immer regungslos an seinem Schreibtisch. Durch eine amorphe Wolkendecke sickerte diesiges Licht, das wie ein Fettfilm auf den Gebäuden lag. Zweimal hatte Berit angerufen, beide Male hatte er das Telefon hilflos auf einer Broschüre tanzen lassen. Direkt daneben lag die Karte, auf die Berit ein gelbes Post-it geklebt und Ich bin immer bei Dir! Toi, toi, toi! geschrieben und das Ganze als Glücksbringer in seine Tasche gesteckt hatte. Angespannt wartete er darauf, dass endlich der letzte Akt dieser demütigenden Farce über die Bühne ging: dass Overkamp in sein Zimmer stürmte, bebend vor Wut, und »Sind Sie eigentlich von allen guten Geistern verlassen?« rufen würde. »Nichts. Verstehen Sie? Es wurde nichts von Ihnen verlangt. Keinen Fehler machen! Um mehr ging es doch nicht. Keine Fehler machen! Und was machen Sie?«
    Aber Overkamp kam nicht. Nicht einmal diese Mühe nahm er jetzt noch auf sich.

9
    Der Mittagstisch war offiziell beendet, seit die Vivaldi-Klänge durch meditative Akkorde ersetzt worden waren, die ihre Tochter als »Musik zum Chillen« bezeichnet hätte. Sie waren die letzten Gäste, unauffällig beobachtet von drei Kellnern in weißen Schürzen. Draußen watschelten hässliche Enten über den kiesbedeckten Weg zum See.
    Die Geduld, mit der Berit darauf wartete, dass er weitersprach, erfüllte ihn mit übertriebener Dankbarkeit. Sie sah ernst aus, entschlossen die Klarheit in das Gespräch zurückzubringen, die seine konfusen Äußerungen vermissen ließen.
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Mein Gott, ich kann es nicht erklären. Es ist nicht gut gelaufen. So etwas spürt man doch, oder?«
    Er sah die langen tröpfchenförmigen Ohrringe, die er ihr vor Jahren in Istanbul geschenkt und die sie zur Feier des Tages angelegt hatte. Er sah die schräg über ihre Stirn geführte Haarsträhne, den aufwendig und penibel zusammengesteckten Knoten auf ihrem Kopf. Gabor sah, für einen Moment besänftigt, in die blauen, unergründlichen Augen seiner Frau.
    »Das hast du die letzten Male auch gesagt: Ich habe kein gutes Gefühl. Und kurze Zeit später kamen die Zusagen von Zürich und Berlin.«
    »Aber dieses Mal ist es etwas anderes«, rief er und senkte seine Stimme, als ein Kellner sich nach ihnen umwandte. Er suchte nach Worten. »Es kam mir vor, als hätte, als hätte ich die ganze Zeit an der Sache vorbeigesprochen. Mein Gott! Overkamp ist ein Idiot. Sollen sie eben einen anderen nehmen.«
    »Ich dachte, du willst die Stelle.«
    »Natürlich will ich sie. Aber was soll ich machen? Geschehen ist geschehen.«
    Die Kellner waren damit beschäftigt, die Tische für den Abend einzudecken. Weiße Servietten, die sie in geschickten fließenden Bewegungen falteten und als spitz aufragende Zelte auf Teller platzierten.
    »Dann hat dir die Karte also kein Glück gebracht«, sagte sie.
    Er hatte die Frage gefürchtet und sich vorgenommen, Berit zu danken und das Thema zu wechseln, doch als er jetzt an das Entsetzen dachte, mit dem er auf die Karte gestarrt hatte, hätte er am liebsten gebrüllt: »Nein! Sie hat alles nur noch schlimmer gemacht.« Er ließ den Blick durch den Raum wandern, während er sagte: »Siehst nicht so aus.«
    »Ich glaube es einfach nicht. Du bist kompetent. Du bist der Richtige. Overkamp hat dir immer signalisiert, dass –«
    »Hör doch auf. Du warst doch nicht dabei, oder?«, sagte er.
    »Ach deshalb wolltest du nicht, dass ich mitkomme! Damit es keine Zeugen gibt und du dich in Ruhe bemitleiden kannst.«
    »Ach. Und wer bemitleidet sich jetzt?«
    Schweigend fuhren sie zurück. Als sie von der Stadtautobahn auf den Ring wechselten, teilte Berit ihm mit, dass sie übers Wochenende noch einmal nach Hildesheim fahren würde. Die Nonne hatte sie darum gebeten.
    »Du kannst ja Mariana bitten, sich um Malte zu kümmern.«
    »Ich kann mich selbst um meinen Sohn kümmern«, war das Einzige, was er erwiderte, kurz bevor er auf dem Parkstreifen vor der Schwarzschen Villa hielt, wo sie mit Nele und Malte im Café verabredet waren.
    »Kommst du nicht mit?«, fragte sie, als er den Motor laufen ließ. Einen Moment lang saßen

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