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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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könnte er jeden Moment wieder gegen ihre Tür treten oder sie mit einem Stemmeisen aus den Angeln heben, doch das Kratzen und Knacken, das er aus der Küche zu vernehmen glaubte, war nicht mehr zu hören, sobald er den Kopf hob und in die Dunkelheit blickte.
    Seine Zurückgezogenheit, sein Alleinsein. Im Nachhinein kamen ihm die Freiburger Jahre geradezu unwirklich vor. Während des gesamten Studiums hatte er keine Freundin gehabt, hatte es niemanden gegeben, mit dem er länger als einige Wochen zusammen geblieben wäre, und so wie ihm war es vielen gegangen. Natürlich gab es Paare, junge Familien, einige Mütter schoben gehetzt ihre Kinderwagen über den Campus oder stillten in der Mensa in einer Ecke hinter der Geschirrrückgabe ihre Babys, stolz, mit überheblicher Nachlässigkeit. Aber die meisten Studenten blieben ungebunden oder verhielten sich so, auf die Prüfungen konzentrierte Einzelkämpfer, denen Leistungsdruck und voller Stundenplan an den Abenden die Hemmung zu nehmen schienen. Die Semesterpartys, die immer gleichen Bars und überschaubaren Clubs. Die überdrehte Leichtigkeit, mit der man zueinander fand, hatte Gabor anfangs berauscht, doch nach einiger Zeit ödete ihn die komplizenhafte Abgeklärtheit, der ewig gleiche, routinierte Ablauf dieser nächtlichen Rangeleien an, ohne dass er ihm etwas anderes hätte entgegensetzen können. Wie ein unbeteiligter Beobachter wunderte er sich darüber, was zwischen Menschen, die nichts voneinander erwarteten, möglich war, während sich irgendwo tief in ihm riesige Schaufelräder durch ein Erdreich fraßen und auf einen Ort zubewegten, den er sich als seine Zukunft dachte. Die unwirkliche Langsamkeit dieser Verwandlung kam nicht in Einklang mit der Schnelligkeit, mit der die Semester rasten, eine Prüfung der nächsten folgte. Selbst wenn er gewollt hätte, die Fliehkräfte waren zu groß, seine Furcht, nach den Schwierigkeiten mit dem Physikum den Anschluss zu verlieren.
    Im Gegensatz zu ihm selbst, glaubte Gabor, blieb Yann aus freien Stücken allein. Etwas umgab ihn. In Yanns Leben schienen die Dinge am Platz, im passenden Verhältnis angeordnet und sich nicht – wie bei ihm – im Weg zu stehen, und selbst wenn Gabor ihre Touren plante und vorbereitete, ließ ihn während der Wanderungen auf den Wurzelpfaden der Ravennaschlucht hoch zum Piketfelsen oder auf dem Höhenweg über der sonnenbeschenkten Bernauer Alb nie der Eindruck los, er würde Yann begleiten in einem Gelände, das Yann länger und immer schon besser kannte als er.
    Und plötzlich war da ein Mädchen namens Kyra an Yanns Seite. Sie schlenderten gemeinsam durch die Schneckenvorstadt, fuhren auf Rädern die Dreisam entlang oder saßen zwischen Schülern auf der überfüllten Tribüne des Augustinerplatzes in der Sonne. Obwohl einige Jahre jünger als Yann, war sie selbstsicher und immer, wenn Gabor den Beiden irgendwo über den Weg lief, war sie es, die sprach, während Yann ihr zuhörte. Ihre gemeinsame Ruhe, die unauffällige Art, in der sie ihm vermittelten, dass er niemals das Geheimnis ihrer Verbundenheit würde verstehen können, grenzte schon an Arroganz. Sobald Gabor Kyra sah, wurde sein Mund trocken. Er wollte ihr nah sein, doch dann hielt er jedes Mal einen Sicherheitsabstand, redete kurz und abgehackt, aus Sorge, man könnte ihm seine lächerliche Aufregung anmerken.

8
    In wenigen Minuten begann die Anhörung, aber Gabor saß noch immer im Auto in der Tiefgarage und beobachtete im Rückspiegel den Mann auf dem Stellplatz hinter ihm, der seit verdächtig langer Zeit in seinem Kofferraum herumräumte. Er trug eine dunkelblaue Jacke aus Ballonseide, stand gebeugt unter der offenen Klappe und bewegte sich kaum, als würde er etwas zusammenbauen oder schrauben, und Gabor ließ ihn nicht aus dem Blick, während er sich Nacken und Hände mit einem Erfrischungstuch befeuchtete. Er hatte kaum geschlafen, war in der Nacht immer wieder aufgeschreckt, und als er am Morgen nach unten gekommen war, hatte Berit den Tisch schon gedeckt, üppig wie an einem Sonntag. Nele, die versprochen hatte, Malte in den Kindergarten zu fahren, hatte in der Diele ihrem Bruder den Fahrradhelm aufgesetzt und sich ein genuscheltes »Viel Erfolg« abgerungen. Seine Frau in der Küche, aufrecht, unerschütterlich, ein Mahnmal der Zuversicht. Gabor zerknüllte das Tuch und stopfte es in die Ablage zwischen den Sitzen. Jetzt. Der Mann schloss den Kofferraum und schlenderte, den Lederkoffer der Pharmavertreter in der

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