Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
Vom Netzwerk:
Hand, durch das niedrige Parkdeck zu den Fahrstühlen.
    Auf dem Gang hatte sich eine Menschentraube gebildet, die sich, als die Ersten ihn erkannten, sofort ins Innere des Saals verlagerte. Als Gabor eintrat, blieb er irritiert stehen: vorn Tische, zu einem Hufeisen geformt, hinten stiegen Sitzreihen an, aber der Raum war schmal und hatte keine Fenster und die Neonröhren verströmten ein unangenehm grelles Licht. Overkamp löste sich als Erster aus der Gruppe in der Nähe der Tafel und kam mit breitem Lächeln auf ihn zu.
    »Na? Alles klar, hoffe ich.«
    Er berührte Gabor am Rücken wie ein Gastgeber, während er die anderen Mitglieder der Kommission vorstellte. Drei Professoren – ein Neurologe, ein Kardiologe mit Seglerbräune und weißem Walrossschnurrbart und eine nervös wirkende Anästhesistin –, daneben ein jungenhafter Oberarzt, eine Angestellte aus der Buchhaltung und eine Studentin, deren kurzes Haar ihn an die Farbe genmanipulierter Karotten erinnerte.
    »Fangen wir gleich an, oder?« Overkamp rieb freudig die Hände gegeneinander. Die Kommission nahm Platz, Gabor ging zu seinem Tisch. Während er, noch stehend, die Mappe aus der Tasche zog, berührte ihn jemand am Ärmel. Auf dem Weg zu den Zuhörerplätzen huschte Lavinia so nah an ihm vorüber, dass sie ihn wie aus Versehen streifte. Ohne etwas zu sagen, ohne ihn anzusehen, rutschte sie auf den Randsitz der ersten Reihe neben eine junge Frau und begann sofort mit ihr zu reden. Gabor setzte sich. Vierzig Interessierte ungefähr. Kollegen, einige Stationsärzte, die ihn nickend grüßten, drei aus seiner Gruppe. Erschrocken blieb Gabors Blick an einem dunkelhaarigen Mann in der vierten Reihe hängen, bis er sich daran erinnerte, dass er aus Spanien kam und seit Kurzem als Assistenzarzt auf ihrer Station arbeitete. Weit oben entdeckte er Yanns Sportlergesicht, angespannt ernst, als befände er sich auf einer Beerdigung.
    »Nun.«
    Overkamp lächelte. Sein Wort hing in der Luft wie ein erhobener Taktstock. Augenblicklich war es still. Gabors Brust verengte sich, doch als er unter der Tischplatte Overkamps vertraute Budapester mit dem floralen Punktmuster in der Kappe wiedersah, ließ die absurde Angst, der Mann von der Fähre hätte sich unters Publikum gemischt, von ihm ab. In aller Ruhe positionierte er seine Armbanduhr neben der Mappe, als wäre dies hier seine erste Vorlesung als ordentlicher Professor, als läge das, was folgen sollte, längst hinter ihm.
    »Wir freuen uns, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind. Wie Sie wissen, sind Sie heute der dritte Kandidat«, sagte er und drehte sich zu den Zuschauern um. »Allerdings sind Ihre beiden Vorredner nicht auf so viel Interesse der Öffentlichkeit gestoßen.« Er richtete sich wieder an Gabor. »Sie sind an diesem Haus durchaus bekannt, was mich, bevor ich das Wort an Sie übergebe, zu einer einleitenden Frage bringt.«
    In Erwartung der vorhersehbaren Frage – Hausberufungen sind unüblich, warum ausgerechnet jetzt eine Ausnahme machen? – senkten sich Gabors Lider um einen Millimeter, doch Overkamp zielte in die entgegengesetzte Richtung und wollte wissen, warum Gabor sich nicht an anderen Häusern beworben habe, an Häusern, die ähnliche Stellen zu vergeben gehabt hätten und inzwischen einen besseren Ruf genössen als »unser ramponiertes Schlachtschiff«.
    Innerhalb eines Sekundenbruchteils verwandelte sich die Verdutztheit darüber, dass Overkamp offenbar Erkundigungen an anderen Kliniken eingeholt hatte, in die euphorisierende Sicherheit seiner Schlagfertigkeit. »Ach«, sagte Gabor, »was die nicht zu leugnende finanziell klamme Ausstattung angeht: Erschwerte Bedingungen erhöhen die Kreativität. An unserem Haus arbeiten übrigens noch immer die meisten Wissenschaftler aus Übersee oder Fernost. Fragen Sie mal einen Medizindoktoranden in Bombay, welche Universitätsklinik ihm als Erstes einfällt.«
    Doch als er ein Dutzend Sätze später zum Ende kam, löste der Umstand, dass er nicht wie ein Bewerber, sondern wie ein offizieller Klinikvertreter gesprochen hatte, ein ungutes Ziehen in seinen Eingeweiden aus. Aber Overkamp nickte leicht, als wollte er sagen: »Reden Sie, reden Sie einfach weiter.« Nur der Oberarzt starrte düster vor sich hin.
    Dann vergaß Gabor die anderen. Er hörte auf, nach Spuren kritischer Distanz oder Wohlwollen zu fahnden, und dachte nicht mehr an die Tür in seinem Rücken. Dreißig Minuten, von denen nicht einmal fünf vergangen waren. Er nahm nur noch

Weitere Kostenlose Bücher