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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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schmaler wurde, war Gabor gezwungen, entweder vor ihnen her zu stolpern oder hinter ihnen zu gehen. Kyra war viel schmaler, als er sie in Erinnerung gehabt hatte, und sie trug Schuhe mit Absatz und ein Tuch im Haar und schwang die ganze Zeit ihre kleine, mit winzigen Spiegelplättchen besetzte Handtasche wie ein Kind. Gabor hatte gehofft, dass sich aus dem Nachmittag vielleicht ein gemeinsamer Wochenendausflug ins Elsass ergeben würde, aber als sie dann unter Sonnenschirmen saßen, konnte er seine Enttäuschung kaum verhehlen. Die Porzellanhaut, die schrägen Augen und ihr kleiner Mund, er gab sich Mühe, sie beim Sprechen nicht anzustarren, aber von einem Gespräch konnte ohnehin keine Rede sein. Auf Fragen reagierte sie mit koketten Gegenfragen oder gar nicht. Ansonsten zeigte sie ihr blasiertes Schau-mich-nicht-an-Gesicht oder kicherte albern und gab Belanglosigkeiten von sich. Am wohlsten war ihr, wenn sie gar nichts sagte, sondern, gegen Yanns Schulter gelehnt, über die Stadt guckte und hin und wieder einen Schluck nippte, während Yann und Gabor sich unterhielten, als wäre sie gar nicht da.
    »Sag mal, wie alt ist Kyra eigentlich?«, fragte er Yann, als er ihn das nächste Mal in der Uni traf. Yann lächelte nur und legte den Zeigefinger an die Lippen.

10
    Gabor schlief wie ein Stein. Im Halbschlaf bekam er mit, dass Berit im Zimmer rumorte und mit verzerrter Stimme etwas sagte, das er nicht verstand. Grelles Licht stach ihm in die Augen, als er seine Lider hob, er drehte sich um, tauchte wieder in bewusstlosen Schlaf, bis der vertraute Duft eines Parfüms ihm in die Nase stieg und ihn jemand unsanft an der Schulter berührte.
    »Ich muss los. Mein Zug.« Berit sprach, als sei er begriffsstutzig. »Du wolltest mit den Kindern zu den Kranichen.«
    Schlagartig fiel ihm der gestrige Tag ein – die peinigende Anhörung, der Streit mit Berit, seine nächtliche Flucht in den Wald, der Vorgarten voller Unrat, durch den er auf den Knien gerutscht war wie ein Wahnsinniger.
    »Wie spät ist es?«, fragte er.
    Berit war schon weg. Stattdessen lehnte Nele gelangweilt in der Tür, während er im Hintergrund Malte eine Decke durch den Flur ziehen sah.
    »Was ist jetzt? Fahren wir oder fahren wir nicht?«
    Sie frühstückten und planten ihre Route: erst zum Reiterhof, dann rechtzeitig weiter nach Linum, um noch vor Ankunft der Kraniche den Beobachtungsposten im Moor einzunehmen. Übernachtung in einem Gasthof, dessen Zimmer die Namen englischer Grafschaften trugen. Am nächsten Morgen dann Therme am See mit Riesenrutsche und Wellenbad. Rückkehr am Nachmittag, damit Nele noch Hausaufgaben machen konnte, wie sie es neuerdings nannte, wenn sie in ihrem Zimmer ihren melancholischen Gedanken nachhing. Die Selbstverständlichkeit des Planens beruhigte ihn wie ein Sedativum, dessen Wirkung augenblicklich nachließ, als er die Taschen durch den Vorgarten zum Auto trug. Serviettenfetzen flatterten in den Sträuchern, dunkle Spuren, die der Staubsauger im Rasen hinterlassen hatte, erinnerten ihn an seine gestrige Schande. Als sie im Wagen saßen, fürchtete er, das Auto würde explodieren, sobald er den Zündschlüssel drehte. Nele schaltete das Radio an, er machte es gleich wieder aus.
    »Oh, Papa!«, rief Nele, holte die Kopfhörer ihres iPods aus der Tasche, drehte sich zum Fenster und verharrte demonstrativ in Wäre-ich-bloß-nicht-mitgekommen-Starre. Im Samstagvormittagsverkehr krochen sie Richtung Autobahn. Irgendwann fiel ihm auf, dass der dunkle BMW hinter ihnen bei jedem Bremsen fast ihre Stoßstange berührte. Hinter der getönten Scheibe erkannte Gabor nur einen Umriss. Unauffällig fuhr Gabor weiter, scherte aber, als er eine Parklücke sah, plötzlich nach rechts aus und bremste scharf, während der BMW an ihnen vorüberglitt. Gehäkelte Gardinen hingen in den Fenstern des Hauses, vor dem sie mit laufendem Motor zum Stehen gekommen waren – weiter vorn begann schon der Kiefernwald, hoch und licht, als würde der Boden regelmäßig gesäubert. Nele hatte sich nicht gerührt. Rhythmisch zerhacktes Rauschen drang aus ihren Ohrstöpseln. Malte, wie immer sofort nach Fahrtbeginn eingeschlafen, atmete mit offenem Mund, den nach hinten geknickten Kopf im blauen Polster des Kindersitzes.
    Auf der Avus fiel ihm nichts auf, doch als sie auf den Autobahnring wechselten, war der Wagen wieder hinter ihnen, jetzt mit größerem, aber gleichbleibendem Abstand. Nele riss sich einen Stöpsel aus dem Ohr und rief: »Papa, du führst

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