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Gesichter: Roman (German Edition)

Gesichter: Roman (German Edition)

Titel: Gesichter: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schäfer
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kauert und mit beiden Händen vorsichtig eine Lade aufzieht, als könnte darin eine Bombe warten, erst als er diesen kurzhaarigen Mann mit dezenter Schuppenbestäubung auf den Schultern in Berits Schublade greifen und die Karten mit spitzen Fingern zwischen Kondomen, Cremes und Taschentüchern hervorziehen sah, hatte die Nachricht, dass Nele verschwunden war, jede Zelle seines Körpers erreicht. Er ließ sich aufs Bett sinken. Der Polizist steckte die Postkarten in kleine Plastiktüten.
    »Warum haben Sie die Karten an sich selbst geschrieben?«, fragte er, während er einen Text überflog.
    »Ich habe die Karten nicht an mich, sondern an meine Frau geschrieben.« Gabor räusperte sich. »Wegen des Sommers. Um den Urlaub zu verlängern.«
    »Schöne Idee eigentlich«, sagte der Polizist und schob die Tütchen in die Außentasche seiner olivgrünen Multifunktionsjacke.
    Zurück im Wohnzimmer, bemerkte Gabor durchs Fenster Männer neben der Mülltonne. Es sah aus, als nähmen sie Fingerabdrücke.
    Berit und die Polizistin hatten weder ein Tagebuch noch Briefe noch sonst etwas gefunden, was Aufschluss gab – an den Sommer erinnerte nur eine CD , auf die jemand in blauen Druckbuchstaben »Don’t forget – Summer 06« geschrieben hatte.
    »Ist das die Schrift Ihrer Tochter?« Die Polizistin schob ihm die Hülle zu, als sie zu viert im Wohnzimmer um den Glastisch saßen.
    »Das weiß ich nicht. Das sind Großbuchstaben.«
    »Ihre Frau sagt, dass Ihre Tochter keinen Computer hat.«
    Er sah zu Berit. Sie wirkte wie betäubt.
    »Das ist richtig.«
    »Und die Referate, worauf hat sie ihre Referate geschrieben? Wo hat sie im Internet recherchiert?«
    »Auf einem unserer Computer.«
    »Und wo hat sie ihre Mails geschrieben?«
    »Sie hat keine Mails geschrieben«, stieß Berit hervor, ohne aufzublicken. »Nele hasst Mails.«
    »Sie hat ein Mobiltelefon«, sagte Gabor. »Sie hat SMS geschrieben.«
    Das Haar der Frau war streng nach hinten gekämmt. Pferdeschwanz, kleine Strähnen. Sie war noch jung, hatte aber die Präsenz, die erworbene oder natürliche Willensstärke der meisten Polizisten.
    »Wahrscheinlich bringt es uns nicht weiter. Ich würde trotzdem gern mal reinhören. Haben Sie was dagegen?«
    Bevor er sich erheben konnte, stand sie schon am Sideboard und schob die CD in den Player. Plötzlich erfüllten die Synthesizer-Klänge eines Popsongs den Raum und nach wenigen Akkorden quiekte die gleiche weibliche Stimme, deren Plastikpiepsen in den letzten Wochen immer wieder durch die geschlossene Tür aus Neles Zimmer gedrungen war.
    »Ist das Griechisch?«, fragte die Beamtin.
    »Ja«, sagte Gabor.
    »Verstehen Sie es?«
    »Nein.«
    Die Frau spielte das nächste Lied an, wartete auf eine Stimme, sprang erneut vor. Bis auf den einen griechischen Sommerhit waren alle Lieder auf Englisch. Aufgekratztheit, Euphorie, düstere Traurigkeit, Neles Gefühle strömten aus den Boxen, türmten sich auf und brachen über ihm zusammen, und der Gedanke, dass jemand diese CD aus ähnlichen Motiven zusammengestellt hatte, aus denen er die Karten an Berit geschrieben hatte, verengte seine Kehle. Er stand auf, um den Spuk zu beenden, aber in diesem Moment wurde es still. Die Polizistin setzte sich, legte die CD auf den Tisch, schaute abwartend von einem zum anderen.
    »Gibt es noch etwas, was wichtig sein könnte? Fällt Ihnen irgendetwas ein?« Weder Berit noch er antworteten. »Die meisten Vermissten tauchen nach wenigen Tagen wieder auf, aber nach dem, was Sie berichtet haben, ist auch eine Entführung möglich.«
    Als sie ihnen sagte, was sie tun sollten, wenn der mögliche Entführer sich telefonisch meldete, brach Berit in Tränen aus.
    »Ich verstehe das nicht. Wir sind doch nicht reich. Wieso sollte jemand Nele entführen? Nele ist schwanger. Sie lässt abtreiben. Ich habe auch mal abgetrieben. Heute Abend ist sie wieder da.«
    Niemand sagte etwas. Diskret blickte die Polizistin auf die im Nachmittagslicht schimmernden Dielen, bis Gabor schließlich fragte: »Wird das Haus überwacht?«
    »Darüber reden wir, wenn sich der Mann melden sollte«, sagte der Kurzgeschorene.
    Um sechs waren sie wieder allein. In den Stunden seit Neles Anruf waren Wochen vergangen. Sie saßen schweigend auf dem Sofa. Die Bücher in den Regalen, die Schalen und Vasen wirkten unecht wie Attrappen, standen nur da, um mit einer wütenden Armbewegung von den Fächern gefegt zu werden. Berit schien immer tiefer in sich hineinzutreiben, ihr Gesicht wirkte kantig

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